Gedichte zum Jahreswechsel

Ich räum jetzt mal auf…

„Denn es reist sich besser mit leichtem Gepäck“ (Silbermond)

Tja, schaut man sich Leute an, die man so kennt,
da gibt es zwei Typen, ganz klar, different:
den Aufheber hier und den Wegwerfer dort.
Man könnte fast meinen, es sei wie ein Sport
für beide, mit Ausdauer ernsthaft betrieben.
Gewiss nicht, ihr Leben lang ist’s so geblieben;
es ist ihr Charakter, da ist nichts zu machen.
So gehn sie halt um stets mit all ihren Sachen.

Der Wegwerfer macht es sich immer ganz leicht.
Er freut sich an Dingen, die heut‘ ihn umgeben,
ob gekauft, ob geschenkt jetzt sein Dasein beleben,
doch morgen ihm nutzlos erscheinen. „Es reicht!
Das steht ja nur rum. Ist nun wirklich mal gut.
Ich brauch ganz bestimmt es nie mehr im Leben.
Was soll es, es länger noch aufzuheben.
Jetzt weg bloß damit! Ach, wie gut das doch tut!“

Schwer tut sich der Aufheber.
Klebstoff ist der Urheber.
Was er hat, das klebt
fest an ihm, er hebt
auf, was mal erworben,
bis er ist gestorben.
„Brauch es doch noch mal.
Wär ‘ne Höllenqual,
es gleich wegzuschmeißen.
Wär ja … wie … drauf scheißen!“

Zu dieser Sorte Mensch gehör‘ wohl ich.
Was da steht rum, ist abenteuerlich!
Was hat sich in den Jahren angesammelt!
Regale, Schränke, Kisten vollgerammelt!
Bin Jäger wohl und Sammler auch zugleich.
Die Sammelleidenschaft spielt mir ‘nen Streich,
weil ich schon nicht mehr weiß, wohin damit,
wenn Neues kommt dazu auf Schritt und Tritt.
Denk ich allein an Bücher, DVDs,
CD, Kassette, Platte, Video … ich gesteh’s:
all die Geräte, alte, die gehör’n dazu,
die brauche ich ja auch noch, kann partout
nicht einfach sie entsorgen, nicht kaputt.
Das ist beim besten Willen doch kein Schutt!

Nun will von Ordnung ich nicht ständig träumen
und endlich mal beginnen aufzuräumen.
Oh je, da muss ich erstmal kräftig pusten,
hatschi! das wird ein Niesen, Hüsteln, Husten.
Der Staub, der aufgewirbelt, muss erst weg
und was sich sonst noch auftut so an Dreck …
Wenn wieder klare Sicht … Entdeckungstour!
Ihr glaubt es nicht! Ne richt’ge Inventur
wird das! Ich stöb’re rum und finde wieder,
was längst vergessen war. Da legst di nieder!
Ein Tonband mit der eig’nen Stimme, ‘ne Rede
mit Zwanzig vor vielen Leuten. Alter Schwede!
Ein Buch, das oft gesucht und nie gefunden –
na super! dachte schon, du seist verschwunden.
Und Fotoalben mit Erinnerungen,
die, ach wie schade, sind verhallt, verklungen.
Und das? ach, alte Liebesbriefe an SIE,
die ich, die aber mich nicht wollte, nie!
Ach nee! die gibt’s noch? und zu welchem Zweck?
die können endlich nun ja wirklich weg!

Doch das ist’s nicht allein: sich aufzuraffen,
Ballast tatsächlich jetzt mal wegzuschaffen.
Denn wie sich zeigt, begegnet man beim Räumen
sich selbst auch wieder, was man tat versäumen
ja viel zu lang. Entdeckungstour bei Sachen
nur? Nein! Ein unerwartetes Erwachen!
Ein Aufbruch ist’s in eine früh’re Welt,
die trotz Vergessen ihre Gültigkeit behält.
Was hab ich mit den Dingen mal gemacht?
Was hab an Zeit mit ihnen ich verbracht?
Wer war ich damals? Bin ich heut‘ ein andrer?
Es kommt mir vor, ich trotte wie ein Wandrer
stets meinen Pfad voran, schau nie zurück,
verlier dabei dann völlig aus dem Blick
ein ganzes Stück von mir und meinem Leben,
als hätte es das alles nie gegeben …

Wie herrlich ist es doch, auch mal Ordnung zu machen!
Wie hieß es da gleich zu Beginn? Ich muss lachen!
Ein Wegwerfer, Aufheber? Leicht mir‘s jetzt fällt,
das Wegwerfer-Sein, komm mir vor wie ein Held:
Nochmal anschaun die Dinge, sie wiedererkennen,
dann aber mich heiter-beschwingt davon trennen …


Eberhard Kleinschmidt

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