Gedichte zum Jahreswechsel

Surfer

Da kommt sie, fern noch, aber lang erwartet,
sie rollt heran in ungebremstem Lauf,
sie baut sich unaufhaltsam vor ihm auf,
sie bricht … und schau! er ist schon längst gestartet.

Würd’ ich, wie er, mich da hinein begeben,
in diese übermächt’ge Wasserwand,
die wild sich aufbäumt, wütend schäumt am Rand,
gleich stürzt und drunten Massen bringt zum Beben?

Ja, reite die Welle, wenn du sie erfasst,
und lebe den Traum, den schon lange du hast!

Er fasst sie, er erwischt die richt’ge Stelle,
er beugt sich vor, die Arme ausgestreckt,
er beugt die Knie und, weiter vorgereckt,
hinunter geht’s rasant den Hang der Welle.

Das ist kein Gleiten mehr, das ist ein Fliegen!
Wie wendig, kraftvoll, stets im Gleichgewicht
auf seinem Brett er mit der Woge ficht!
Mir kommt’s so vor wie Sich-im-Wasser-wiegen!

Ja, reite die Welle, wenn du sie erfasst,
und lebe den Traum, den schon lange du hast!

Doch nein, geschickt gedreht, geht’s nicht hinunter
ins Tal, noch nicht. Er reagiert blitzschnell,
er gibt nicht auf, ist’s doch wie ein Duell.
So leicht kriegt ihn der Wellenberg nicht unter.

Ich spür’s: entschlossen ist er, durchzuhalten,
bis, was begonnen, auch zu End’ gebracht
so, wie er’s anfangs mit sich ausgemacht,
so wie er seine Kräfte wollt’ entfalten.

Ja, reite die Welle, wenn du sie erfasst,
und lebe den Traum, den schon lange du hast!

Und sieh nur! Weiter lässt er sich jetzt tragen
vom Wasser, hoch und höher, steil bergauf
bis auf den Kamm  -  ganz kurz verharrt er drauf,
um sich sogleich erneut hinab zu wagen.

Ein Wagnis? Nicht für ihn! All die Gefahren,
die um ihn sind, er weiß um ihr Gewicht.
Mit Angst, Verlust geht er nicht ins Gericht,
weil er sich seine Wünsche will bewahren.

Ja, reite die Welle, wenn du sie erfasst,
und lebe den Traum, den schon lange du hast!

’ne weiße Spur zeigt, wo er lang geglitten,
als hinter ihm der Hang zusammenkracht
in Schaum, in Gischt, mit Brodeln und mit Macht.
Die Welle stöhnt, die er grad abgeritten.

Was treibt ihn an? Die Lust am Abenteuer?
Ein blinder Rausch, der nicht weiß, was er tut?
Wo nimmt er ihn bloß her, den festen Mut?
Begeist’rung ist’s. Sie brennt in ihm, ein Feuer …

Ja, reite die Welle, wenn du sie erfasst,
und lebe den Traum, den schon lange du hast!


Eberhard Kleinschmidt