Gedichte zum Jahreswechsel

Der Wasserfall

Ein Plätschern ist’s, wie murmelnd Singen,
ein Glucksen, Gluckern, gurgelnd Klingen,
was da bald sprühend, sprudelnd, springend,
bald hüpfend quirlig abwärts dringend,
dann kurz mal ruhig-sanft im Gleiten
das Wasser will ins Tal geleiten.

Als Rinnsal einst dem Fels entkommen,
war’s anfangs erst noch wie benommen,
bewegte zögernd sich hinunter.
Doch bald im Fallen schon ganz munter,
mag’s länger nicht am Hang verweilen
und muss, getrieben, vorwärts eilen.

Was drängt es denn, nicht mehr zu rinnen?
Was glaubt’s durch Schnelle zu gewinnen?
Warum im Wachsen Sturzbach werden
und unterwegs sich nicht mal erden?
Die Ruhe scheint nicht seine Sache:
„Nur ja nicht enden bloß als Lache!“

Doch halt! Dort fließt’s in and’ren Bahnen:
Wie achtsam es in filigranen
Kaskadenschleiern sich bewegt,
von Stuf’ zu Stufe, kaum erregt,
ein Film, opalen fast, im Laufen,
als wollte es sich hier verschnaufen!

Gebremst wohl eher scheint die Kraft,
weil unverhofft der Bach erschlafft
in Mulden, die nun selbst erheben
woll’n, was genommen, was gegeben
an Fülle für des Wassers Wand
im Überlauf von Rand zu Rand.

So aufgehalten sich zu sehen,
lässt ungern er mit sich geschehen,
weil’s seinem Wesen nicht entspricht:
geradezu darauf erpicht
ist er, mit Gefälle zu fallen, zu fliegen, ja fliehend zu fließen,
statt ganz gemächlich sich in Schalen zu ergießen.

Auf Ruhe folgt auch gleich Bewegung.
Oh nein! ’s ist eher doch Erregung.
Denn Brocken nun die Bahn verbauen,
als Hindernis das Wasser stauen,
um mit ihm um die Macht zu ringen  --
doch nur den Umweg sie erzwingen.
 
Dass Felsen es wagen, sich entgegenzustellen,
lässt aufschäumen wütend und weiß die sonst hellen
und durchsicht’gen Fluten, sich fast überschlagend,
zu Bündeln geballte, einander verjagend,
dass hoch spritzt die Gischt und entwischt aus der Enge
des Bettes und heftigem Wellengedränge.

Und so stürzt er weiter dem Tale entgegen,
und nichts mehr, rein gar nichts mehr kann ihn bewegen,
mal nicht mehr verhastet nach unten zu schießen,
dafür noch mal gleitend in Ruhe zu fließen,
dafür mal nach rechts, mal nach links zu schauen
und sinnend dem Fluss seines Daseins zu trauen.

Nein, tiefer und tiefer jetzt geht’s in die Schlucht
kopfüber mit ohrenbetäubender Wucht.
Aus Rauschen wird Brausen und donnerndes Dröhnen,
ein knallendes Krachen und tosendes Tönen.
Aus Ordnung wird Chaos und wilde Zerstörung,
aus Ruhe und Gleichmaß wird blinde Empörung.

Und dann? Es verliert sich am Ende das Toben
im Strome, der aufnimmt und bändigt, was droben
in wechselnden Fällen gescheh’n und gewesen.
Dies wird in der Weite der Strömung gelesen,
besehen, belassen wie’s war und wie’s ist,
bis allmählich die fließende Zeit es vergisst …


Eberhard Kleinschmidt