Kleine Anthologie

Suche

Der Abend steigt herab am Himmelsrund
und senkt sich auf den Teich. Ein Höckerschwan,
der eben noch voll Stolz zog seine Bahn,
verbirgt den Kopf in seiner Federn Bund.

Die Ruhe streckt sich aus und tut mir kund,
dass auch von mir die Hektik abgetan.
Ich soll mich lösen, soll mich selbst bejahn,
hinab begeben in den eignen Grund.

Tief unten gilt’s den Weg zu MIR zu gehn,
der fast verwischt im Labyrinth der Zeit.
Wer bin ich? Wie war ich? Wo werd’ ich stehn?

Die Dämmerung setzt ein und macht mich weit.
Da hinten ist ein kleines Licht zu sehn.
Gibt mir die Selbstbesinnung Sicherheit?


Zu mir …

Wie seltsam mutet an, was mich umfängt!
Die Leere, die sich auftut, ohne Ende …
Ein Loch in der Natur, von nichts beengt …
Ein ries’ger Raum, dem fehlen alle Wände …
Was steigt nur in mir auf? Bin drauf und dran,
zu flieh’n den Ort, mich zu entzieh’n dem Bann.

Verwirrt ist mir der Sinn. Warum? Genießt
der Gast doch Schutz, wenn sommerlich erhitzt,
voll Sonnenüberdruss, er sich verschließt
an diesem Platz und schilfbedacht hier sitzt.
Der Reben Ranken allseits sich verzweigen,
auch Trauben, grün, noch unreif, schon sich zeigen.

Von dichtem Blattwerk teppichgleich umgeben,
der Blick, nach vorne offen, geht hinaus
und streift Geländer, seitlich Stützen-Streben,
bis er verlässt ins Tal der Laube Haus.
Geborgen könnte man im Grunde sein.
Doch was ist los? Warum bloß trügt der Schein?

Bedrohlich draußen tritt der Wald entgegen.
Die Bäume steh’n wie tot, ganz regungslos.
Kein Lufthauch, der die Blätter könnt’ bewegen.
Kulissenstarr, geräuschlos, riesengroß,
ein übermächt’ges Wesen drängt herein
und lähmt die Stätte wie den falschen Hain.

Die Stille, sie ist es. Wie eine Last,
so scheint’s, legt sie sich auf die bange Brust ...
Doch dann, ich spür’s, viel sanfter sie mich fasst,
berührt und streichelt bald mich wie mit Lust,
als wolle meine Seele sie bezwingen
und tief in ihre tiefsten Schichten dringen.

Ich sträube mich nicht mehr, ich halt’ es aus,
ich geb’ mich hin, ich horch’ gespannt auf das,
was sie mir sagt … und werd’ nicht klug daraus …
Die Stille schweigt ... sie schweigt ohn’ Unterlass …
Wie stumm bleibt die Gebärde, ohne Zeichen,
als könnte sie so wie von selbst verstreichen!

Die Ruhe dehnt sich aus, beginnt zu fließen,
ganz ohne Zeit; die scheint im All vergessen.
Sie gleitet hin, um samtig auszugießen
den Balsam, der ist jedem zugemessen,
der öffnet, was im Innersten verschlossen,
was  seelenabseits erzhart eingegossen.

Das Schweigen bricht, zerfällt. Ich bin’s, der fragt,
die Stille gibt mir Antwort ... Doch nicht leicht
ist zu entschlüsseln, was sie denn besagt.
Die Botschaft mich noch nicht so recht erreicht.
Muss erst das Potential der Stille reifen,
bevor man’s kann aus sich heraus begreifen?

So führt der Weg hinab. Ein Suchen wird’s,
ein Tasten, Spüren, Kramen, Räumen, Finden,
ein Anschau’n schließlich noch ... Ach, wie verwirrt’s!
Ich muss die Scheu davor erst überwinden.
Ja, und … was hat mir alles dies zu sagen?
So hilf mir doch, o Stille! Welche Fragen?

Und tiefer und tiefer jetzt geht es hinab ...
Und heller und klarer erscheinen die Bilder ...
Es teilt sich das Dunkel, ein Licht fällt herab ...
Viel off’ner im Denken, im Urteilen milder
taucht auf, was versperrt und verkrustet das Leben
im dauernden Wegschau’n und Hasten und Streben …

Zu mir …


Zeit

Die Uhr, ich hab’ sie dauernd in der Hand.
Sie setzt mich unter Druck, treibt mich voran,
vermittelt das Gefühl „Du bist gleich dran!“
Vom Schlag der Stunde bin ich wie gebannt.

In Pünktlichkeit hab’ ich mich schier verrannt.
Zu Haus, mein ew’ges „Leute, macht schon! Mann!“,
ganz klar, es stellt mich bloß als Zeit-Tyrann.
Ein Leben ohne Zeit  -  mir unbekannt!

Warum nur immerzu sich so beeilen?
Warum lässt die Manie sich gar nicht heilen?
Warum nicht mal im Augenblick verweilen?

Die Angst, zu passen, ist wohl nur’n Verseh’n,
die Angst, was zu ver-passen, aber ein Vergeh’n.
Ach, Zeit, verweile doch, du bist so schön!


Der Augenblick im Sand

Wie turbulent geht’s zu rundum im Kreise
am Strand, wo jeder zollt Tribut der Lust,
sich zu vergnügen ganz auf seine Weise,
dem Sonnengötzen hörig, pflichtbewusst!

Inmitten nun des Trubels im Entstehen
die Sandburg, wie ein Eiland meerumtost,
noch unberührt vom regen Strandgeschehen,
gleich einem Schatz bewacht, umhegt, gekost.

So will’s dem heimlichen Betrachter scheinen,
denn der da baut, ist gänzlich weltentrückt
in seinem Tun versunken, sucht zu einen
Idee und Werk, geschäftig, still beglückt.

Und wie er sich tummelt, gewandt und behände,
wie flink und wie lebhaft, wie leicht von der Hand
ihm geht doch die Arbeit beim Bauen der Wände,
beim Schieben, beim Häufen, beim Glätten im Sand!

Ob kniend, ob hockend, gebeugt oder stehend,
harmonisch der Körper folgt fließend den Gliedern,
bald hierhin, bald dorthin geschmeidig sich drehend,
dass anmutig Form und Bewegung einander erwidern ...

Der Junge hat wohl Zeit und Raum vergessen ...
Für den Moment gibt’s ihn nur und die Burg,
die fertig nun. Ist’s ihm bewusst, dass es vermessen,
wie Gott sich jetzt zu fühlen, wie ein Demiurg?

Er schaut und prüft und wägt, vergleicht im Geiste
rasch Bau und Plan, ob der auch nicht entstellt,
ob voll verwirklicht, was sein Kopf umkreiste,
und fragt am Ende, ob’s ihm so gefällt.

Das Lächeln zeigt’s. Er findet alles richtig.
Dann noch ein kurzer Blick … Er dreht er sich um
und eilt davon … Für ihn ist nicht mehr wichtig,
was eben grad’ war das Elysium …


Am Meer

Es rauschen die Wellen im fernen Gesang,
sie kommen und gehen in fließendem Gang.

Was klingen da für Töne herüber?
Sie dringen einzeln an mein Ohr.
Sie tauchen auf und eilen vorüber,
bevor der Wind sie trägt empor.

Es rauschen die Wellen im fernen Gesang,
sie kommen und gehen in fließendem Gang.

Die Töne, sie finden zueinander,
behutsam, in schönster Klangharmonie,
vereinen sich zögernd miteinander
zur sehnsuchtsschweren Meermelodie.

Es rauschen die Wellen im fernen Gesang,
sie kommen und gehen in fließendem Gang.

Mir wird so anders! Was ist geschehen?
Ein Zauber wirkt in meiner Brust.
Dem kann ich nicht länger widerstehen
und gebe mich hin in betörender Lust.

Es rauschen die Wellen im fernen Gesang,
sie kommen und gehen in fließendem Gang.

Und plötzlich kommen mir Wogen entgegen
wie klingende Perlen in rieselndem Lauf,
die munter und fröhlich, beinahe verwegen,
sich türmen am Ufer voll Übermut auf.

Es rauschen die Wellen im fernen Gesang,
sie kommen und gehen in fließendem Gang.

Doch mischt sich darein eine fremde Weise:
voll Wehmut, wie klagend singt die Sitar.
Gedanken gehen auf weite Reise
und holen herbei, was einmal war.

Es rauschen die Wellen im fernen Gesang,
sie kommen und gehen in fließendem Gang.

Es zieht mich magisch hinaus in die Weite,
weit weg, dort drüben zum Horizont.
Die Seele schwingt in den Klängen der Saite
und verklingt mit dem Lied, das vom Meer vertont.

Es rauschen die Wellen im fernen Gesang,
sie kommen und gehen in fließendem Gang.

Wohin, ihr Klänge, in einzelnen Tönen?
Ihr lasst mich einsam zurück am Strand!
Oh bleibt doch! Was sagt ihr? Ich soll mich versöhnen
mit dem, was der Schmerz aus dem Herzen verbannt?

Verrauschende Wellen im fernen Gesang
vergehen allmählich ... verfließend ihr Klang …


Bereit

Bist du bereit
zu gehn,
wenn deine Zeit
bleibt stehn?
Vielleicht der Tag
ist nah,
dass ohne Frag’
er da
und dir dann nimmt,
was nur
auf Zeit bestimmt
die Uhr
der Lebensbahn,
geborgt,
im Todeswahn
entsorgt …


abwärts und aufwärts

Ein tiefer Fall
wie aus dem All,
ein Aufprall, hart,
nach Hammerart,
ein Blitz, ein Schlag,
es weicht der Tag …
Und nie geahnt,
nicht angebahnt,
ganz unverhofft,
nicht  - wie so oft -
vorhergesehn
als Drohgeschehn …
So lieg’ ich da,
der Ohnmacht nah
für den Moment.
Der Kopf mir brennt.
Was ist passiert?
Der Geist sortiert.
Was soll nun werden?
Mit was für Beschwerden?
Wer wird mich heilen,
den Kummer teilen …?

Ich richte mich auf,
kann selbst sogar stehen.
Es geht nun hinauf,
kann selbst sogar gehen.
Es geht auch bergan,
kann selbst mich bewegen.
Ich nehme mein Los willig an,
ich stemme mich nicht erst dagegen …
Und was wohl der Absturz besagt?
Was will er tiefinnerst mich lehren?
Hab’ ich mich vielleicht zu weit vorgewagt?
Soll lassen im Außen das Streben, Begehren?
Hier bremst es mich aus …
Ich gehe nach Innen …
Im eigenen Haus
besehe ich drinnen
die Kräfte, die da,
zu wandeln Gedanken,
die düster beinah,
zu beseitigen Schranken,
die hindern, zu lindern und an sich zu wachsen,
anstatt sich jetzt mutlos den Kopf zu verknacksen …


Frommer Wunsch

Der Eremit verlässt jetzt seine Klause.
Der Elefant bekommt ‘ne dicke Haut.
Wer ängstlich, voll Vertrau’n nach vorne schaut.
Und wer verschlossen, öffnet sein Zuhause.

Wer hektisch ist, wird ruhig und besonnen.
Perfektionisten krieg’n den Mut zur Lücke
und lachen über des Objektes Tücke.
Dem Trauerkloß die Trübsal ist zerronnen.

Die Schnecke wird spontan, legt Tempo zu.
Wer Pessimist, wird Optimist im Nu.
Verkrampfte suchen locker nach dem Heil.

Der Ungeduld’ge fasst sich in Geduld.
Wer andern nachträgt, sucht bei sich die Schuld.
Und wie verkehr’ ich mich ins Gegenteil?


Was ist das?

Da ist ein Typ, den lang du kennst,
von dem du niemals dich mehr trennst,
weil er  -  ein seltnes Exemplar  -
gehört zu deinem Inventar ...
So ist’s, bei einer Inventur
würd’ dir was fehlen, wenn er nur
noch auf der Liste stünde … weg!
Du fragst nach seinem Daseinszweck?
Warum ihn überhaupt vermissen,
wenn sonst er bleibt im Ungewissen?
Nun ja, da sind Erinnerungen:
Was miteinander gut gelungen,
man ja nur selten mal vergisst,
auch wenn es längst vergangen ist.
Doch nicht nur so etwas verbindet,
so dass man rasch sich wieder findet.
Da ist noch mehr … Wie drück’ ich’s aus?
Du siehst ihn  -  fühlst dich gleich zu Haus,
bist angekommen, flugs, im Nu,
kaum hinter dir die Tür ist zu.
Du denkst … du spürst es im Moment,
dass gestern erst ihr euch getrennt.
Das Wiedersehen stimmt dich heiter
und ohne Umstand machst du weiter,
wo du zuletzt hast aufgehört.
Nichts gibt es, was dich dabei stört.
Und nun passiert’s: du bleibst nicht stumm,
der andre auch nicht. Rundherum
wird alles ausgetauscht, was war,
was ist, was sein wird. Ist doch klar!
Du kannst ihm alles anvertrauen
und ohne Skrupel darauf bauen,
dass er’s für sich behält und schweigt.
Bei allem, was du sagst, er zeigt,
dass er dich annimmt, wie du bist,
und nicht zu ändern sucht, was ist.
Die Worte gehen hin und her,
die Zeit, sie existiert nicht mehr.
Und eh’ man es so recht bedacht,
ist’s weit schon über Mitternacht.
Du magst dich, wie gesagt, nicht trennen,
denn wiederum musst du erkennen,
dass du nicht viele kennst wie ihn,
ob maskulin, ob feminin,
der in der Ferne schon war nah,
ganz gleich was immer auch geschah,
und jetzt erst recht ist’s. Abschied nehmen,
zwar musst du dazu dich bequemen,
du weißt jedoch, wie du dich kennst,
nicht ewig du dich von ihm trennst.


Die Begegnung

Das Fest ist da … und mitten im Gedränge,
verloren noch, noch ankerlos, steh’ ich,
nach Haltepunkten tastend in der Menge
der froh bewegten Menschenschar, die sich
schon längst gefunden, selbst bei dieser Enge.
Ich schau’ ringsum und suche. Wer kennt mich?
Die Fülle hier, sie drückt, sie macht beklommen.
Ein Fremder bin ich, werd’ ich angenommen?

Wie lange war ich nicht in diesen Hallen!
Es hat sich nichts verändert, wie es scheint.
Die Zeit stand still hier, sonst dahin gefallen,
geräuschlos, stetig, jahrestaktvereint,
nicht nur bei mir, in den Gesichtern allen,
wo sich das Alter liest und nicht verneint.
Ist Zeit hier wirklich wirkungslos verstrichen?
Hat sich der Wandel niemals eingeschlichen?

Ich bahn’ den Weg mir, immer noch befangen.
Ist jemand da aus meiner Zeit, bereit,
mit mir zurück zu gehn, wo wir gegangen?
Was wollten wir? Wohin? Und inwieweit
ist’s uns geglückt, ans Ziel auch zu gelangen?
Das Hinterfragen galt, in aller Offenheit:
Wir wollten ändern, aber auch bewahren,
Musik-begeistert, wie wir alle waren.

„Du kennst mich nicht?“ fragt jemand sacht und leise
in meinem Rücken, „gehst an mir vorbei?“
Ich dreh’ mich um, ich blick’ herum im Kreise,
ich suche, kenne keinen, zweifelsfrei.
„Du kennst mich doch!“ erneut auf sanfte Weise
hör ich die Stimme wie in einer Träumerei.
„Ach du! Ich ahne, wer du bist, erkennen
kann ich dich schwer nur, kaum beim Namen nennen.

Lass mich den feinen Schleier noch durchdringen,
der sich vor die Erinnerung gewebt!
Als Schemen bloß kann sie zum Vorschein bringen
ein Bild, wie ich’s vor Jahren wohl erlebt …
doch jetzt  -  wie schön!  -  beginnt’s in mir zu klingen
als tönend’ Bild … es kommt daher geschwebt …“
„Du fühlst es schon, ich will mich offenbaren:
Ich wirke hier seit vielen, vielen Jahren.

Sieh dich nur um“, sagt sie, „du wirst ihn spüren,
den Geist, der hier durch mich zu Hause ist,
er wird auch dich sogleich erneut berühren,
bald nicht mehr fremd du in der Menge bist.“
Die Frau, ihr Bild, so lieblich zum Verführen,
der Stimme Klang Gesang, dass man vergisst,
wo man grad ist … Gebannt ich steh’, will halten
dies Wunder übermenschlicher Gestalten …

„Oh, bleibe noch“, entgegne ich, „sprich weiter
von dir! Wer bist du? Ja, wo kommst du her?
Seit du erschienen, wird es hell und heiter
um mich, es wird so leicht, was erst war schwer!“
„Die Alten schon, sie kannten mich als Streiter-
in: dass der Mensch ein Idealbild sei, wenn er
sich forme mit Musik und Spiel, und so auf Erden
allseit’ge Harmonie gestiftet könne werden.“

„So ist’s“, sag’ ich, „ich sehe, wie verbunden
die Menschen, die gelöst beisammen sind,
wie schnell sich Alt zu Jung hier hat gefunden,
weil alle in der Sache gleichgesinnt,
weil alle ihren Auftrag gleich empfunden.
Ich spüre, wie das Fest für mich gewinnt:
Was allen wichtig ist, wird überdauern,
derselbe Antrieb bleibt in diesen Mauern.“

„Und hör’ doch und sieh’ nur, wie’s allüberall sich tut regen!“,
vernehm’ ich von fern’ die Erscheinung nun fröhlich beschwingt.
„Hier singt es, dort klingt es, da spielt es, es will dich bewegen
mit Gesang, mit Orchester, Theater, mit Jazz auch geswingt.
Mit mir sind gar viele befreundete Musen zugegen,
um das Fest zu bereichern, zu helfen, dass alles gelingt …“
Ich schaue ihr nach, bis sie langsam den Blicken entschwindet …,
um wiederzukehren an Orte wie diesen, wo Anhang sie findet …


Wanderung

Festen Schrittes, Seit’ an Seite,
heiter, voller Tatendrang
geht’s den Weg im Tal entlang.
Ringsherum der Bergwelt Weite.
Kühe, Glockenklanggeleite,
Widerhall rundum am Hang
sind dabei im stet’gen Gang
aufwärts durch der Wiesen Breite.
Wandrer, als vom Glück Geweihte,
schreiten da, beseelt vom Drang,
dass, Gefühl im Überschwang,
muntre Rede sie begleite.

„Ach, schau doch, wie herrlich der Gipfel da oben,
mir ist so, als leuchtet’s wie Schnee von dort droben!
Und hier dieser Baum, ganz allein auf der Wiese,
die hohe Statur, majestätisch, ein Riese!
Und dort diese Felswand, wie schroff, welche Steigung!
Und drüben die Almen in sanfterer Neigung!
Natur, oh, du göttliche, du bist mein Leben,
Geheimnisumwobene, dir gilt mein Streben.
Ich will dich erfühlen, erfahren, ergründen,
an dir mich mit all meinen Sinnen entzünden.
Ja, sei meine Freude, mein Glück, meine Lust!
Verschenken, oh, will ich mich dir an der Brust!“

„Halt’ ein, mein Freund, ich werde noch mit dir
zerfließen, gar vergehn in diesem Strome,
wenn ich dir folge. Schwärmerei nimmt mir
den Atem. Sie zerspaltet in Atome
das Ganze der Natur in ihrer Pracht.
Wo bleibt da mein Verstand mit seiner Klarheit?
Was nutzt mir der Empfindung Übermacht?
Ich brauche Abstand auf dem Weg zur Wahrheit,
zur Wahrheit über mich und meine Welt.
Der Landschaft Schönheit darf mir nicht zerrinnen,
erforsche ich, was mich zusammenhält;
sie hilft erkennen, was verborgen in mir drinnen.“

Weiter geht der Weg hinauf,
bis die Spitze ist erklommen.
Vom Detail stets wie benommen,
dieser  -  Eindrücke zuhauf  -
Augenblicken schließt sich auf.
Jenem, Überblick bewahrend,
denkend, Dauer tief erfahrend,
widerstrebt des Flücht’gen Lauf.

„Aber hör’ nur! Da drüben! Mit riesiger Wucht
ein mächtiger Wasserfall stürzt in die Schlucht.
Ein Rauschen, ein Tosen, ein Donnern ist’s fast,
wie in endlosem Falle des Wassers Last
dort aufprallt, wo drunten die Massen vereint
ein Becken, das fälschlich zu halten vermeint,
was schwer nur zu bändigen, schwer zu bezwingen,
weil es wirbelnd wie Staub in die Höh’ sich will schwingen,
der Sonne entgegen, im Tanz sich versprühend,
im Lichte der Strahlen allmählich verblühend …
Und unten, ein Wunder, als friedliche Quelle
überschreitet das Wasser des Felsbassins Schwelle!“

„Ja, welch’ Ereignis! Welch’ unbänd’ge Kraft
die Erde schickt uns Menschen hier zum Leben!
Ein Quell, der stets aufs Neue uns erschafft,
ein Elixier, das Heilung uns kann geben!
Dynamisch weist sie uns den rechten Weg:
des Lebens Fluss gilt’s sich zu überlassen,
ganz leicht wird dann des Daseins Hypothek:
was oftmals Kummer schuf, wird schnell verblassen,
was lang verhärtet, löst alsbald sich auf,
was ewig freudlos, wird allmählich heiter,
was nur als Schwarz und Weiß man nahm in Kauf,
verwandelt sich und läuft als Farbfilm weiter.“

Steil ist jetzt der Pfad bergan.
Rechts und links, auf beiden Seiten
näher kommend, Gipfel leiten
unsrer Wandrer Schritt voran.
Wer von beiden denn gewann
nun beim kontroversen Streiten?
Schlichten sollte man beizeiten,
eh’ gekämpft von Mann zu Mann!
Wer tritt auf hier im Gespann?
Sinnenlust greift in die Saiten,
Glücksgefühle auszubreiten,
Geistesschärfe müht sich dann,
wie sie diese deuten kann.
Sind da nicht Gemeinsamkeiten?
Solln sich finden und begleiten!

So nur kommt man oben an.

Aufstieg und Ausblick

I

Ruhelos treibt’s mich voran
unter schwerem Wolkenhimmel,
fern von allem Weltgewimmel,
steil den schmalen Pfad hinan.

Kerkergleich in mir gefangen,
hastend durch die Felsenschlucht,
ist’s wie ungehemmte Flucht
ohne Ausweg, voller Bangen.

Drohend folgt bei jedem Schritt
Wolk’ um Wolke, tief gesunken,
schwarz und dunkel vollgetrunken.
Mein Gemüt zieht düster mit.

Fetzenartig, ohne Schranken,
windverwirbelt, ohne Sinn,
ohne Ziel von Anbeginn
fliegen wild umher Gedanken.

Wann bloß komm’ ich oben an?
Soll ich mich hier ganz verlieren?
Wird das Chaos jetzt regieren
oder enden irgendwann?

Regen stürzt aus Schleusen nieder,
Sturm ihn peitscht mir in’s Gesicht.
Hält man über mich Gericht?
Donner hallt von Wänden wider.

Lasst mich los, ach, gebt mich frei,
mächtige Naturgewalten!
Nehmt auch mit, was mich will halten,
all die Qual der Grübelei!

Lichter, heller wird’s. Verflogen
scheint, was schwer mich hat bedrängt,
was die Brust mir eingeengt.
Wetterwolken sind verzogen.

Leichter, freier fühlt mein Geist,
kaum dass droben ist erklommen
das Plateau, wenngleich benommen
noch vom Wust, der ihn umkreist.

Endlos geht der Blick ins Weite.
Ringsherum nur Horizont,
alles rein und klar, besonnt,
ungesäumt auf jeder Seite.

Oh, welch tiefer, ferner Raum
öffnet sich vor meinen Augen!
Wird er mir als Heimstatt taugen,
mir erfüllen meinen Traum?

Ist das nicht der Garten Eden,
der sich auftut da vor mir?
Hier möcht’ nehmen ich Quartier!
Nichts mehr würde mich befehden …


Aufstieg und Ausblick

II

Ich bin nun da,
bin angelangt.
Hab’ sehr gebangt,
dass je es nah.

Was so verengt
in meinem Sinn,
fest in mir drin,
nach draußen drängt.

Es zieht hinaus ins weite,
ins unbegrenzte Land,
das nur für Eingeweihte
wohl so ist ausgespannt.

Ich steh’ und schau’ und staune,
gelehnt am Fels, den hier
Natur in einer Laune
gewölbt zum Schutzrevier.

So reist, beschirmt, der Geist nach draußen
in ungeahnte Ferne fort
und kehrt, verwandelt dort im Außen,
zurück in seinen sich’ren Hort.

Der Raum vor mir, er dehnt sich weiter
und weiter über den Horizont.
Er schließt mich auf, er macht mich heiter,
wie nie zuvor ich es gekonnt.

Wo sind die Mauern, sonst so oft zu finden?
Wo ist der Zaun, vor dem ich Halt gemacht?
Wo sind die Gräben, sonst zu überwinden?
Das hoheitlich’ Gebiet, von mir bewacht?

Die Ruhe hier, die herrscht, die tiefe Stille,
von keinem Laut durchbrochen, ungeteilt!
Ist es vielleicht des Universums Wille,
dass nun das Ich in diesem Raume weilt?

Und das Herz geht mir auf, lässt sich nicht mehr beirren.
Ich nehme mich selbst und die andren jetzt an.
Ich bin nicht getrennt. Es wird nichts mich verwirren.
Und alles ist offen, so leer wie’s begann.

Und was mir begegnet, ob leicht, ob beschwerlich,
wird nicht mehr gewaltsam gehalten im Zaum,
es darf alles sein, wie es ist, s’ist entbehrlich,
so wie es sich anverwandelt dem inneren Raum …


Sisyphus 21

Und wieder und wieder wird es geschehen!
Was immer geschieht, wird sich wieder begeben!
Und wieder und wieder wird es so gehen!
Was immer so geht, werd’ ich wieder erleben!
Und Jahre um Jahre dasselbe ich tue,
und weder bei Tag noch bei Nacht dabei ruhe,
zu wuchten, zu rücken, zu stoßen, zu schieben,
von drängenden Mächten nach oben getrieben.

     Und niemals wird enden
     dein Mühen und Plagen
     und niemals sich wenden,
     was lang’ schon ertragen …

Ach, ihr Mächte, welche Last
ward mir da doch auferlegt!
Ohne Ende, ohne Rast,
schlepp’ den Fels ich unentwegt
Stück für Stück den Hang hinauf,
steil und steiler geht’s bergauf,
und  -  ich weiß  -  trotz Hadern und Grollen
wird stets er von oben hinunterrollen ...

     Das wird auch so bleiben,
     wie’s einmal entschieden,
     du wirst dich dran reiben,
     solang’ du hienieden …

Überdrüssig dieser Last,
wälz’ ich sie von hier nach da,
immer schon darauf gefasst,
dass ich, kaum dem Ziele nah,
wieder fang’ von vorne an,
wieder mache mich daran,
anzupacken, anzuschieben,
blind gesteuert, angstgetrieben.

     So lässt du dich lenken,
     so lässt du dich leiten
     und lässt dich beschränken.
     So war’s schon vorzeiten …

Unterwegs erneut bergan.
Schwer wird dieses Einerlei,
das so endet, wie’s begann;
beugt mich tief wie Tyrannei.
Wo blieb nur der einst’ge Mut?
Wo blieb nur die einst’ge Wut?
Nichts mehr denken, nichts mehr wollen!
Nur den Stein nach oben rollen!

     So lässt du dich treiben
     und willst nichts verstehen
     und lässt dich zerreiben,
     statt tiefer zu sehen …

Und wieder und wieder wird es geschehen!
Was immer geschieht, wird sich wieder begeben!
Und wieder und wieder wird es so gehen!
Was immer so geht, werd’ ich wieder erleben!
Nur weiter und weiter trotz Schmerzen sich plagen!
Nur weiter und weiter die Bürde ertragen,
um wieder den Stein vor sich her zu treiben,
um niemals und nimmer mal stehen zu bleiben!

     Es gilt zu verstehen?
     Es gilt zu verweilen?
     Was gilt es zu sehen?
     Was gilt es zu heilen? …

Sinnlos ist mein Weg hinauf,
sinnlos ist mein Weg hinunter!
Sinnlos ist mein Tageslauf,
wie der Sonne Rauf und Runter!
Sinnlos ist mein Tun und Denken,
des Gefühlstumults Verrenken,
wie das Auf und Ab im Streben!
Sinnlos scheint mein ganzes Leben!

     Das Inn’re verschließen?
     Sich Kummer bereiten?
     Im Kummer zerfließen?
     Dem Leben entgleiten ? …

Auf halber Höhe bin ich jetzt
und blick auf steilem Pfad nach oben.
Und da, der Gipfel, wie zuletzt,
doch wolkenleer, im Licht, erhoben
im Himmel, ganz für sich und frei!
Und leichter wird die Schlepperei,
und leichter lässt sich der Fels bewegen,
und kraftvoller stemme ich mich nun dagegen ...

     Sich öffnen im Schauen
     und nicht mehr verengen,
     die Sicht nicht verbauen
     und Ketten zersprengen …

Was ist mit mir? Was mit dem Stein?
Er liegt mir nicht mehr auf der Seele!
Die Leichtigkeit! Wie kann das sein?
Ob ich die Last mir selbst befehle?
Nur wen’ge Meter noch bis oben!
So mühelos zum Kamm geschoben
hab’ diesen Brocken ich noch nie!
So anders ist’s als sonst! Doch wie?

     Ein anderes Sehen
     zeugt inneres Wandeln,
     ein tief’res Verstehen
     zeugt anderes Handeln …

Da bin ich nun, ich hab’s erreicht!
Oh, welch ein Blick! Ich schau’ und schaue ...
Wie weit dies Land! Ob’s dem Elysion gleicht?
Ob ich mich ihm wohl anvertraue?
Ob ich dann angekommen bin?  -
Doch halt! Wo ist der Stein? Wohin?
Ich müsste noch Tribut ihm zollen …
Er rollt zurück ... ich lass’ ihn rollen …

     Und was nicht zu fassen
     und was nicht zu wenden,
     entgleitet gelassen
     den offenen Händen …


Der Wasserfall

Ein Plätschern ist’s, wie murmelnd Singen,
ein Glucksen, Gluckern, gurgelnd Klingen,
was da bald sprühend, sprudelnd, springend,
bald hüpfend quirlig abwärts dringend,
dann kurz mal ruhig-sanft im Gleiten
das Wasser will ins Tal geleiten.

Als Rinnsal einst dem Fels entkommen,
war’s anfangs erst noch wie benommen,
bewegte zögernd sich hinunter.
Doch bald im Fallen schon ganz munter,
mag’s länger nicht am Hang verweilen
und muss, getrieben, vorwärts eilen.

Was drängt es denn, nicht mehr zu rinnen?
Was glaubt’s durch Schnelle zu gewinnen?
Warum im Wachsen Sturzbach werden
und unterwegs sich nicht mal erden?
Die Ruhe scheint nicht seine Sache:
„Nur ja nicht enden bloß als Lache!“

Doch halt! Dort fließt’s in and’ren Bahnen:
Wie achtsam es in filigranen
Kaskadenschleiern sich bewegt,
von Stuf’ zu Stufe, kaum erregt,
ein Film, opalen fast, im Laufen,
als wollte es sich hier verschnaufen!

Gebremst wohl eher scheint die Kraft,
weil unverhofft der Bach erschlafft
in Mulden, die nun selbst erheben
woll’n, was genommen, was gegeben
an Fülle für des Wassers Wand
im Überlauf von Rand zu Rand.

So aufgehalten sich zu sehen,
lässt ungern er mit sich geschehen,
weil’s seinem Wesen nicht entspricht:
geradezu darauf erpicht
ist er, mit Gefälle zu fallen, zu fliegen, ja fliehend zu fließen,
statt ganz gemächlich sich in Schalen zu ergießen.

Auf Ruhe folgt auch gleich Bewegung.
Oh nein! ’s ist eher doch Erregung.
Denn Brocken nun die Bahn verbauen,
als Hindernis das Wasser stauen,
um mit ihm um die Macht zu ringen  --
doch nur den Umweg sie erzwingen.
 
Dass Felsen es wagen, sich entgegenzustellen,
lässt aufschäumen wütend und weiß die sonst hellen
und durchsicht’gen Fluten, sich fast überschlagend,
zu Bündeln geballte, einander verjagend,
dass hoch spritzt die Gischt und entwischt aus der Enge
des Bettes und heftigem Wellengedränge.

Und so stürzt er weiter dem Tale entgegen,
und nichts mehr, rein gar nichts mehr kann ihn bewegen,
mal nicht mehr verhastet nach unten zu schießen,
dafür noch mal gleitend in Ruhe zu fließen,
dafür mal nach rechts, mal nach links zu schauen
und sinnend dem Fluss seines Daseins zu trauen.

Nein, tiefer und tiefer jetzt geht’s in die Schlucht
kopfüber mit ohrenbetäubender Wucht.
Aus Rauschen wird Brausen und donnerndes Dröhnen,
ein knallendes Krachen und tosendes Tönen.
Aus Ordnung wird Chaos und wilde Zerstörung,
aus Ruhe und Gleichmaß wird blinde Empörung.

Und dann? Es verliert sich am Ende das Toben
im Strome, der aufnimmt und bändigt, was droben
in wechselnden Fällen gescheh’n und gewesen.
Dies wird in der Weite der Strömung gelesen,
besehen, belassen wie’s war und wie’s ist,
bis allmählich die fließende Zeit es vergisst …


Für Sie

(zum 3. Oktober 2013)

In längst vergang’nen, vor-gelebten Zeiten,
als tief im Urgrund zueinander fand,
was anfangs noch getrennt an Möglichkeiten,
als Element an Element sich band,
um dann als Einheit Wege zu beschreiten,
die schicksalhaft uns Menschen zuerkannt  -
da müssen wir uns schon begegnet sein,
da warst bereits Du mein und Ich war dein.

Schon damals war uns beiden aufgegeben,
noch unbewusst, den Weg vereint zu gehn,
sich suchend, aufeinander zuzustreben,
sich findend, füreinander einzustehn,
gemeinsam einzugehn ein Erdenleben
mit allem, was auch immer mocht’ geschehn.
Der eine war dem andern vorbestimmt,
dass er mit ihm den steilen Berg erklimmt.

Seit über vierzig Jahren eng verbunden,
sind beide wir von Anbeginn zu zweit
wie Eins, ohn’ dass ein Element gefunden,
das dauerhaft uns trennt. Wir sind gefeit
vor Widrigkeiten plötzlich ernster Stunden,
die uns das Leben manchmal hält bereit.
Was uns’re inn’ge Liebe je vermag,
beweisen wir uns wortlos Tag für Tag.

Wie mag uns dies nun schon so lang’ gelingen?
Wie haben wir’s bis heut’ dahin gebracht?
Gab’s ein Rezept, das uns konnt’ weiterbringen?
Wir haben es gespürt, nicht ausgedacht:
Den andren nehmen, wie er ist, nicht zwingen
zu tun, was ihm sonst fremd, ihn gar mit Macht
verändern, bis er selbst es nicht mehr ist,
bis er, ohn’ eig’nen Willen , nur Statist.

Nein, nein! Wir haben’s immer so gehalten,
dass jeder frei sich so entwickeln kann,
dass seinen Lebensplan er kann gestalten,
dass jeder  -  Du mal Ich  -  „steht seinen Mann“.
Es musste keiner je sich derart spalten,
bloß dass nur einer von uns zwei’n gewann.
Zu helfen galt’s, dass jeder sucht die Kraft,
die in ihm steckt, damit sein Ziel er schafft.

Und nun lebst Du nach all den vielen Jahren
den Traum, der schon seit Kindheit wiederkehrt.
Du hast mit großer Müh’ Dich selbst erfahren,
Du hast sehr oft an Deinem Selbst gezehrt,
Du hast dabei gelernt, dein Ich zu wahren.
Jetzt ist von keiner Seite Dir verwehrt,
was immer schon Dein Wunsch, was stets gewollt:
Die Menschen heilen  -  ein Geschenk von Gold!

 


Vom Drinnen zum Draußen

1
In meiner Innenwelt hab’ ich mich eingezäunt,
hab’ sie geschönt mit lauter Wiesen, Blumen, Quellen,
war dort dem Denken, Wünschen, Träumen stets gut freund
und hab’ beseitigt, was sich wollt’ entgegenstellen.

Ich war mir selbst genug in diesem Wunschprogramm
des Binnen-Ichs bei Vogelsang in Baumes Schatten
und schwamm beseligt  im Gefühlsstrom ohne Damm,
als könnten nie mich äuß’re Dinge je ermatten.

Ja, und das Leben draußen existierte nicht?
Wohl schon, nur war’s für mich halt wie ein Widersacher,
der gegen meine inn’ren Interessen ficht
und will, ich solle sein ein tatenfroher Macher.

Das bin ich nicht und werd’ ich schwerlich jemals sein!
Doch geh’ ich schon mal raus aus mir mit einem Bein …

2
Hab ich die Innenwelt allmählich abgegrast?
Hab ich sie nicht in ihren Grenzen abgeschritten,
vermessen, allseits ausgeschöpft, damit geaast
und so den ganzen Aufwand als Poet bestritten?

So ist’s. Was mich erregt als heft’ge Leidenschaft,
als Suche nach vertiefter Freundschaft und nach Liebe,
was - Höhen, Tiefen weit durchschreitend - wechselhaft
mir zuwuchs, immer hoffend, dass es mir doch bliebe,

wie’s skalengleich Gefühle unentwegt durchlief,
wie’s Eifersucht, Enttäuschung, Hass im Schmerz erlebte,
wie’s durch Entfremdung schließlich gar nach Trennung rief,
wie’s im Getrennt-Sein Ich-erneut nach Heilung strebte,

all dies, es bleibt bestehn, ich kann es nicht verneinen,
jetzt gilt’s nur, Innenwelt und Außenwelt zu einen …

3
Ich muss da endlich raus aus dieser Innenwelt!
Von dem, was war und ist, muss ich mich jetzt befreien!
Es hat mir lang genug den off’nen Blick verstellt!
Vor lauter Nabelschau konnt’ draußen nichts gedeihen!

Und erst die inn’ren Krieger, die mich heimgesucht,
die immer wieder gegen mich sind aufgestanden!
Wie oft vergebens hab’ ich mich und sie verflucht,
weil mehr und mehr in diesem Krieg kam ich zuschanden!

Ich hab’ am Ende mich verlor’n, war wie gelähmt
in allem Tun. Dass vieles liegen blieb, nicht zählte.
Und wenn ich in mich ging, dann musst’ ich mir verschämt
gestehen, dass zum Handeln gar der Antrieb fehlte.

Nun wurd’ der Leidensdruck zu groß. Was tat da not?
Ein Ausbruch und ein Aufbruch war’n der Stund’ Gebot …

4
Ein Disput

„Ist deine Innenwelt nicht ziemlich menschenleer?“
„Nein, nein! Das stimmt so nicht! Sehr viele sind zugegen!“
„Zugegen, ja, doch wie denn? Man erkennt sie schwer!“
 „Ich aber schon, wenn sie sich auf mich zu bewegen.“

„Was sind das für Begegnungen? Erklär’ es mir!“
„Sobald ich einen dieser Menschen vor mir sehe,
ist er präsent, ist mehr als nur ein Passagier,
der flüchtig grad an mir vorbei huscht, wo ich stehe.“

„Und doch, ob nun erinnernd, ahnend, vorgestellt,
ist solch ein  Wesen nicht in uns’rer Welt zu Hause!“
„Für mich ist es real, ich spür’s. Gefühlt, erhält
ein jedes Leibgestalt in meiner Dichterklause.“

„Die Menschen deiner Welt sind Fantasiegebilde,
als Wesenheit bevölkern sie ein Traumgefilde!“

5
Die Wesen dieser Poesie sind nicht aus Fleisch und Blut,
gewiss. Sie treten auf geformt als Kunstgestalten
in einem Welt-entblößten Raum, der in sich ruht,
und, von des Dichters Lust gesteuert, sie lässt walten.

Indes nicht gänzlich frei erfunden ist ihr Bild.
Auch wenn ihr Konterfei man draußen sucht vergebens,
weil’s im Gedicht halt mehr als nur wie’n Foto gilt,
entnommen ist’s der Wirklichkeit realen Lebens.

Der Vorrat ist jedoch nun gänzlich aufgezehrt.
Gesichter von Figuren werden immer gleicher.
Verhaltensweisen wurden um- und umgekehrt.
Der Menschenwesen Vielfalt ist unendlich reicher.

Die Neugier treibt mich raus, ich muss jetzt neu erfahren,
was Menschen sind. Ich möchte mich um Menschen scharen.

6
Ich bin nun mitten drin. Wie anders ist das doch!
Nicht mehr wie früher oft, wenn ich, zwar da, umgeben
von vielen, mich in meinem Innern so verkroch,
dass eigentlich ich mit mir eher stand daneben.

Da waren Menschen … stehn zusammen … ich dabei.
Ich nehme ihre Körper wahr, doch ist’s kein Spüren.
Ich spreche gar mit ihnen über mancherlei,
doch es erreicht mich nicht, es will mich nicht berühren.

Obwohl ich alle kenne, bleiben sie mir fern.
Als Fremder unter Fremden, so wie abgespalten
von einer Welt, die doch die meine ist  -  extern,
so fühl’ ich mich dabei. Und nichts kann dort mich halten!

Das alles war. Jetzt bin so ganz ich mitten drin.
Die andren spüre ich und spür’ auch, wer ich bin …

7
Und da nun eine hochgestimmte Menschenmenge,
die just zum Festefeiern sich zusammenfand
und, in Erwartung froher Klänge und Gesänge,
erneuert, grußbeseelt, manch altes Freundesband.

Und ich? Nicht in mir drin mehr, fortan nur noch draußen,
bleib’ ich nicht mehr bei mir, geh’ jetzt auf andre zu,
beweg’ mich nicht in meinem Innern, bin im Außen,
und wen’ger wichtig ist mein Ich, es zählt das Du.

Und nun der Höhepunkt: Ein richtiges Getümmel!
Dies Wippen, Drehen, Wirbeln fordern mich jetzt ganz.
Es bleibt mir nur, mich hinzugeben dem Gewimmel,
wo’s schiebt und drängt und stößt nach Herzenslust im Tanz.

Ein Fest, ein Tanz und ich – in herrlicher Allianz!
Wie war das noch? Ich ging zum Leben auf Distanz?

8
Mir kommt’s so vor, als wär’ das hier das Dach der Welt,
weit oben, alles überragend, abgeschieden,
wo Hügel sich an Hügel reiht, doch Abstand hält
durch Senken, dass zu große Nähe sei vermieden.

Der Blick rundum ist nicht ganz frei, er wird begrenzt
von Bögen, Pfeilern, runden Säul’n zu jeder Seite,
im Maurenstil von schlichten Kapitell’n umkränzt.
Man schaut hinaus wie aus ’nem Tempel in die Weite.

Direkt vor mir, ’s ist wie ein einz’ges Paradies
mit Wiesen, Büschen, Bäumen: hier den Hang besteigend,
dann wieder abwärts gleitend, fast ein grünes Vlies,
und dort das Tal hinab zum Meer sich neigend.

Und wo sind hier die Menschen, die du möchtest finden?
Du hast dir vorgenommen, sich an sie zu binden!

9
Ja, schau, dort unten, nah am Meer, da find’ ich sie
vielleicht. Da vorn, noch niedrig, Dach an Dach, beisammen,
sich aneinander schmiegend wie in Harmonie,
und hinten Betten-Burgen sich beinahe rammen.

Da werden wohl in dieser sonn’gen Sommerzeit
die Leute sich zusammen drängen, auf der Suche
nach lang ersehntem Urlaubsglück, allzeit bereit,
in Kauf zu nehm’n, dass Badetuch am Badetuche.

Der Mensch, so sagt man, sei nicht gern allein,
er suche andre, wolle sich zur Geltung bringen,
da reiche es ihm oft auch nicht, zu zwei’n zu sein
und nur mit vielen in der Menge könnt’s gelingen.

Wer also Einsamkeit und Ruhe will verkürzen,
der muss sich halt auch mal in Menschenmassen stürzen.

10
Und unten herrscht der Geist des Sommers in der Stadt.
Ein Geist? Ein Wesen, das man nicht erkennt an Worten?
Auch wenn bisher noch niemand ihn gesehen hat,
man fühlt, man spürt, man hört sein Wirken allerorten:

Die Menschen sind ganz anders, als wir’s sind gewohnt.
Das ist’s… das macht’s … da ist etwas, das sie verwandelt.
Sie fühlen sich jetzt frei, sie sehen sich belohnt
für all den Druck, mit dem der Alltag sie behandelt.

Da blüht jetzt auf, was sonst blieb aufgestaut:
Welch Schieben, Schupsen, Drängeln, Stoßen in der Menge!
Welch Shopen, gucken, prüfen, kaufen! Das erbaut!
Welch  Kinder-Spielen, Toben, Jauchzen ohne Zwänge!

Und du? Hat dieser Sommergeist auch dich erfasst?
Meinst du, du hätt’st in solch ’nem Trubel was verpasst?

11
Entführt ins Mittelalter rund um ein Kastell,
wo Häuser, hingeduckt, sich gegenseitig stützen
in engen Winkelgassen, kaum mal sonnenhell,
zusammen stehn aus Angst vor feindlichen Geschützen,

dort finden wir uns plötzlich wieder, angesteckt
von einem mittelalterlich bewegten Treiben,
von einem bunten Volke, das hat Blut geleckt
und sich ’ne längst vergangne Zeit möcht’ einverleiben.

Zu kaufen gibt’s, was immer nur das Herz begehrt,
zu essen, was man nie zuvor je wollt’ probieren,
zu gucken, was uns zeigen Gaukler, Vogelherd,
zu hören, was manch Ohr empfindlich mag traktieren.

Hier bleibe ich, was hier passiert, dem flugs ich folg’,
hier ist was los, hier misch’ ich gern mich unters Volk.

12
An einen Ort wie diesen zieht’s mich wieder hin.
Ein kleiner Platz, geschlossen im Geviert, umgeben,
wie aufgeschichtet, von Arkaden. Mittendrin
ein Brunnen, der’s mir angetan, weil voller Leben.

Denn Wasser ist da ganz in seinem Element.
Fontänengleich wird’s nicht in höchste Höhn geschoben,
nein, leicht bewegt’s in feinen Strahlen sich behend
hinab. Ein großes Rund nimmt auf, wie’s kommt von oben.

Schon droben sprudelt es als kleiner Quell hervor.
Aus einer Säule rinnt’s von Rand zu Rand hinunter
und weiter springt’s aus Beckenbauch durch Tor und Tor,
bis einzeln drunten es im großen Ganz geht unter.

Und so aufs Neu geht’s immer weiter … Klein begonnen
und langsam wachsend, größer werdend, bald zerronnen …

13
Es leuchtet, blitzt … es sprüht, verglüht … es knallt, verhallt …
Aus weiter Ferne schon ist es zu sehen, hören …
Aufs Neu es zündet, spritzt … es trommelt, tönt … es schallt
herüber, um uns alle Sinne zu betören.

Wir nähern uns. Der Menschenpulk ist jetzt ganz dicht,
bewegt von einem Zug fantastischer Gestalten,
geführt von Feuermännern, die nur drauf erpicht,
gezielt mit Funkensalven, glüh’ndem Schirm zu walten.

Und hinterdrein ’ne schwarze Trommlerschar,
in strengem Rhythmus, mit markant gesetzten Schritten,
fast tanzend, wiederholt ihr lautes Repertoire,
so dass nicht viel gefehlt, dass unsre Ohren litten.

Ein Feuerwerk der Lebensfreude! Das steckt an!
Dabei man gar nicht länger abseits stehen kann!

14
Und wie sich’s dreht und dreht, dem Winde zugesellt!
Ein Blumenstrauß, die Stängel fest zum Rund gebunden,
mit Blättern, Blüten, aufgefächert hochgestellt,
dass schon ein Luftzug reicht, sie ruhig zu umrunden.

Und sonst? Nicht langsam, heftig oft wird es bewegt
nach links, nach rechts, bald vor-, bald rückwärts - Spielball ständig
der Wettermacht, die’s launenhaft ergreift, erregt,
damit’s nicht träge wird, bleibt wendig und lebendig.

Und dreht’s sich hin und dreht’s sich her nur so zum Spaß?
Den Wechselfällen der Natur still hingegeben?
Nein, nein! Auch sein Zweck misst sich nach der Dinge Maß:
Als Windrad gilt der Wasserförderung sein Streben.

Und stets dem Spiel des Daseins zugewandt, geht’s weiter,
mal vor, zurück, mal still, bewegt, mal ernst, mal heiter.

15
Poet ich möchte sein, ein fahr’nder Sänger,
von Burg zu Burg einst, heut von Stadt zu Stadt
hin ziehend, weil’s an einem Ort nicht länger
ihn hält, zu sagen, was er dort zu sagen hat.

Er sucht die Menge, die bereit zu hören
all das, was ihn im Innersten bewegt.
Er sagt’s mit Vers und Klang, um zu betören,
damit nicht Geist nur, auch das Herz erregt.

Er sucht die Bühne, wagt das Abenteuer.
Denn ob Applaus er kriegt, das weiß er nicht.
Er stellt sich dem, weil der Begeist’rung Feuer
ihn trägt und seiner Botschaft Zuversicht.

Poet ich möchte sein, ein fahr’nder Sänger,
von Ort zu Ort, es hält mich ja nicht länger …

 


Herbstwunder …

Es leuchtet, glänzt, ja strahlt im bunten Farbenspiel,
dies letzte Grün, dies Gelb, dies Gold, dies mächt’ge Rot,
das königsgleich beherrschen will, bis es am Ziel
zinnoberrot verbrennt, verglüht im Feuertod.

Es ist, als ob Natur in einem Abschiedsfest
sich selbst noch einmal fröhlich feiert, farbenfroh
erinnernd Frühling, Sommer, und dann beides lässt
am Ende heiter mit entflammen lichterloh.

Es scheint, dass selbst-verliebt der Augenblick nur zählt.
Was folgt, Zerstörung und Verfall, wird nicht bedacht,
weil es im Frühjahr wiederkehrt und, frisch vermählt
dem Leben, bald verjüngt und strahlend schön erwacht.

Die Farbenpracht, die Herbst noch eignet, wird vergehn,
wie Phönix aus der Asche aber doch aufs Neu’ erstehn …

 


Weiter …

Nichts denken, nichts tun,
im Inneren ruhn,
den Raum erleben,
über Grenzen schweben,
die Welt überwinden
und die Leere finden …

 


Der Nachtmahr

Eine Ballade

Düsternis befällt die Welt.
Wolken ziehn am Himmel auf,
hindern sich in ihrem Lauf,
drängen vorwärts Feld um Feld,
schieben alles Licht beiseit‘,
jederzeit zur Schlacht bereit,

so, als gälte es zu streiten
für der Himmelsmächte Macht
über Tag und dunkle Nacht.
Und in Scharen sie schon reiten
wild herauf am Horizont
in der schweren Wolken Front.

„Ach, schon wieder?! War doch erst!
Immer wieder taucht ihr auf!
Ist, als warte ich schon drauf!
Und auch du dabei? Beschwerst
mir mit solcher Last die Brust!
Und du tust‘s mit großer Lust!“

Mittendrin in diesem Heer
dunkelgrauer Schreckgestalten,
von der Masse abgespalten,
stößt nach vorne mehr und mehr,
nicht zu bändigen als Streiter,
kampfbereit: der dunkle Reiter.

„Kannst mich nicht in Ruhe lassen?
Oft schon bist du aufgetaucht,
hast bedrängt mich, angefaucht.
Ich soll endlich mich mal fassen.
Ja, was soll das überhaupt?!
Willst, dass mir der Mut geraubt?“

Was für ein Geschöpf mag’s sein?
Nicht aus diesem Weltenraum,
wie aus einem bösen Traum,
Wuchs gedrungen, hässlich, klein,
braun, sieht furchterregend aus
mit dem finstr‘en Blick, ein Graus.

„Doch es lässt mich auch nicht los.
Es sitzt fest, muss stets dran denken.
Die Gedanken anders lenken?
Aber wie? Was mach ich bloß?
Wo führt das nur nochmal hin?
Weiß schon nicht mehr, wer ich bin …“

Es wird Nacht, das Licht besiegt,
auch der Himmel gibt sich auf,
dunkel zieht ein Nichts herauf,
Wolken, eben noch bekriegt,
gehen auf in Finsternis.
Alles stockt, ist ungewiss …

„Lähmend, plötzlich diese Stille
über‘m Land jetzt weit und breit.
Bin ich gegen ihn gefeit
heute Nacht, ist stark mein Wille?
Schaffe ich es, mich zu wehren?
Wird er wieder an mir zehren?“

Geräuschlos und ohne, dass man ihn vermutet,
so schleicht er sich rein, geht durch Türen und Wände,
ganz so, wie wenn jegliches Hindernis schwände.
Er huscht so, er wischt so dahin und sich sputet,
dass im Nu er sein Opfer im Sprunge erreicht,
bevor es ihm noch aus den Händen entweicht.

„O nein! Jetzt ist er wieder da!
Er springt mich an, sitzt auf mir drauf,
er reitet mich, er rückt hinauf,
dass seine Fratze mir ganz nah.
Ich weiß es doch, ich soll mich fassen,
ich soll von den Problemen lassen!“

„Du tust es aber nicht! Hach! Welch Entzücken!
Du rührst im Schlaf Probleme ohne Maß!
Das machst du gut! Für mich ein Heidenspaß,
dich so mit deinem Alter zu bedrücken,
was fehlt, dir immer wieder vorzuhalten
und dich damit ganz langsam zu zerspalten!“

„Steig runter! Drückst die Brust mir ein!
Hör auf! Krieg keine Luft! Wie schwer
du bist! Mein Kopf ist schon fast leer!
Du lastest auf mir wie ein Stein,
wie alles, was das Alter bringt,
das täglich mit sich selber ringt.“

„Ein Tatmensch warst du. Wo ist der bloß hin?
Zu träg, um Dinge endlich anzupacken,
schiebst du sie vor dir her, lässt sie versacken.
Dein Schuldbewusstsein spielt die Trösterin.
Dabei dann bleibt’s. Du ruhst dich aus,
verkriechst, zurückgezogen, dich im Haus.“

„Wie eine Welle steigt’s nach oben.
Es reißt mich mit, schwillt an, quillt über,
verfließt in mir, geht nicht vorüber,
hat bald mein Denken weggeschoben -
wo bin ich? noch im Jetzt und Hier?
Die Sorge unerbittlich greift nach mir.“

„Und wieder und wieder sollst du dran denken,
wie Erinnerung schwindet, wie Löcher entstehen,
wie die Namen dir fehlen, wie dir Worte vergehen,
wie das Vergessen will Dinge ins Nichts versenken,
die gehörten zu dir und zum früheren Leben.
Ich will dir die Leere im Kopfe verweben.“

„Weg, weg mit dir! Du tust mir weh.
Du schreckst mich auf. Du hältst mir vor,
was ich schon selbst hab längst im Ohr.
Ich spür‘s doch, was vermisst. Oje!
Ich merk es jeden Tag aufs Neu.
Hab kein Vertrauen mehr, bin scheu.“

„Dir fällt schon nichts mehr ein. Die Schreibblockade,
sie legt dich lahm und hindert dich am Dichten.
Ein Spaß ist‘s! Kreativität vernichten!
Ja, deine Kunst, bald ist sie nur Fassade.
Das war’s dann auch: kein Auftritt auf der Bühne.
Wer will dich denn noch sehn auf der Tribüne?!“

„Nein, nein! Du rührst in einer alten Wunde!
Ach! Du vernichtest alle meine Träume!
Was für ein Alptraum ist’s! Was ich versäume,
wenn Schaffenskraft nicht mehr mit mir im Bunde,
wenn über meinem Schreiben liegt ein Bann,
wenn ich damit mich nicht mehr zeigen kann!“

„Zu langsam bist du, unbeweglich, steif.
Im Schneckentempo, stockend geht’s voran,
im Denken, Handeln, Laufen. Mannomann!
Da fehlt nicht viel, und du bist endlich reif
für Stock, Rollator, Rollstuhl und Gedächtnisstütze,
auf Hilfe angewies‘n, zu nichts mehr nütze …!“

Von Panik erfasst, fahre ich hoch.
Ich schlage um mich. Komme zu mir.
Wer bin ich? Wer wohl? Bist das du hier?
Was war‘s? Wozu dies schwere Joch?
Es hat erbarmungslos mich durchgeschüttelt.
Hat Angst mir meine Ängste wach gerüttelt?

Der Wettersturm hat sich gelegt.
Die Wolken haben sich verzogen.
Die Nacht ist klar. Am Himmelsbogen
die Schar der Sterne sich bewegt.
Und Mensch und Tier zur Ruhe finden
und neue Kräfte an sich binden.

 

 


Bruder Leichtfuß

„Schaut her! Da hock‘ ich nun im Garten
auf meinem Sitz, von aller Arten
Gebüsch und grünem Wuchs umgeben.
Was für ein stilles, ruh’ges Leben
an diesem Platz wohl mich empfängt,
mit dem man grad mich hat beschenkt?
Ich lass‘ mich einfach mal drauf ein,
wie ich so sitz‘ hier ganz allein.
Mal Gott ‘nen guten Mann sein lassen.
Was kann ich hier denn schon verpassen?“

Er denkt’s und sagt’s, macht sich‘s bequem,
die Haltung ist ihm angenehm:
die Beine kräftig angezogen,
die Schultern leicht zur Seit‘ gebogen,
die Arme auf den Knien verschränkt,
den Kopf ganz sacht nach links gelenkt,
die Haare lang, ‘ne Mütze drauf,
mit Schirm, ganz lässig oben auf.
Und sein Gesicht, was drückt es aus?
Sein Blick, er geht verträumt hinaus
gradaus hinauf zum off‘nen Himmel,
weitab von jeglichem Gewimmel.
Wohin wohl gehen die Gedanken?
Begrenzt von irgendwelchen Schranken
bei solchem Lächeln um den Mund,
das unterm Schnauzer tut sich kund?
Man weiß es nicht, man ahnt’s vielleicht,
weil trotz der Haltung, die so leicht
erscheint, ‘ne Spannung in ihr steckt,
die Lust auf Aufschwung doch erweckt.
Und lassen sich die Sprinterbeine
auf Dauer halten an der Leine?
Die Füße sind schon ausgestellt,
als wollten raus sie in die Welt …

So ist’s. „Hier bloß nicht sitzen bleiben,
die Zeit mit Träumen sich vertreiben“,
geht ihm ganz plötzlich durch den Sinn.
„Zwar schön ist’s hier und ein Beginn.
doch draußen muss es weiter gehn.
Wie mag es denn dort draußen stehn,
da draußen in der weiten Welt,
die alles wohl zusammenhält?
Wie ist es dort? Wie mag es sein,
wenn ich mit andern mich verein‘?
Bin ich so richtig, wie ich bin?
Was steckt in andern denn so drin?
Kann draußen ich mich selbst bewahren?
Ja, so vieles möchte ich erfahren!“

Und flugs macht er sich auf den Weg.
Ganz heimlich stielt er sich hinweg
von seinem Baumstumpf und ist fort.
Nicht lange dauert’s und er ist dort
so mittendrin im prallen Leben,
wo Menschen ständig vorwärtsstreben,
die anders sind, als er es ist,
für die sich Zeit danach bemisst,
was sie an Gütern mal erbringt,
und Nichtstun unnütz Zeit verschlingt.

Er schaut sich um. „Wer ist denn das?!
Der sagt sich ohne Unterlass:
‘Es muss sein, muss sein, muss, es muss!‘
Nur Arbeit … die im Überfluss,
die treibt ihn unentwegt voran!
Dem ist, scheint’s, gleich, wann sie begann,
sie hört nicht auf, lässt ihn nicht los:
‘Was mach‘ ich ohne Arbeit bloß?
Ich würde ohne Pensum krank!
Zum Glück ja bleibt‘s mir, Gott sei Dank!‘“
Verwundert Leichtfuß kommt zum Schluss,
als er’s bedacht: „Was muss hier muss?
Man kann mal Fünfe grad‘ sein lassen
und braucht sich drum nicht gleich zu hassen!
Bloß weg von diesem strengen Ort,
an dem doch jeder Spaß verdorrt!
Wo bleibt hier denn die Lebensfreude?
Für so was ich sie nicht vergeude!“

Er macht sich auf. Und weiter jetzt.
Wer geht dem Wandrer nun ins Netz?
Er ist drauf aus ja, andre Leute
zu treffen als den Menschen heute.
Nicht lange dauert’s. Der steht da
vor ihm, ein Mann, ein Klotz, ganz nah,
ein richt’ger Protz, der stellt was dar,
zumindest glaubt er, dies sei wahr:
„Mein Haus, mein Boot, mein S U V“.
Drauf Leichtfuß gleich, der kontert: „Nee!
Ich glaub’s nicht! Was bist du für einer!?
Du willst, dass ich mich fühle kleiner,
nur weil du mehr besitzt als ich?
Geh weiter! Was tangiert das mich?!“

"Wer mag das wohl da drüben sein?
Er hockt am Boden ganz allein.
Auf einer Decke ausgebreitet,
womit sein Dasein er bestreitet.
Die Menschen lassen ihn links liegen,
sie wollen nichts mit ihm zu schaffen kriegen!
Dem geht es gar nicht gut, wie's scheint.
Das Leben hat's nicht gut gemeint.
Und wie der aussieht! Ungepflegt,
verlottert, Abscheu er erregt.
Wie der sich gibt, das ist mir fremd,
benimmt sich gar zu ungehemmt.
Ich mag ihn nicht, ich geh nicht rüber.
Ganz ehrlich, Penner sind mir über."

„Der geht mir immer durch den Kopf
noch: solch ein unglücksel‘ger Tropf!
Wie kann man so ein Leben führen?
Die Menschen nur zu Mitleid rühren,
ja, eignem Leben Mitleid zollen
und keinen Beitrag leisten wollen,
der dem Gemeinwohl etwas bringt?
Nur allen zeigen, was misslingt,
anstatt zu zeigen, was noch geht
trotz Schicksal, das dagegen steht?
Vielleicht es auf die leichte Schulter nehmen,
anstatt sich selbst und andre lähmen?
Ob das wohl hilft am Ende weiter
und stimmt sogar auch schließlich heiter?“

Nanu?! Jäh Fragen über Fragen,
die unseren Gesellen plagen,
der eher ja geneigt zu träumen,
als Zeit mit Grübeln zu versäumen?
Er will das Leben doch genießen
und lässt sich nicht so leicht verdrießen.
So kommt ihm grade gut zupass,
dass etwas ihm begegnet, das,
wie’s aussieht, eher ihm entspricht:
Kein Dasein, gründend auf Verzicht,
nein, die Sphäre eines Lebemanns.
Drauf Leichtfuß gleich: „Das ist’s! Der kann’s!“
‘Ne schillernde Persönlichkeit,
die nicht ganz frei von Eitelkeit.
Ein Abenteurer, Frauenheld,
Verführer, Playboy, Springinsfeld,
Genussmensch gar, ein Bonvivant,
charmant, entspannt und nonchalant,
ja, ungezwungen, elegant
auch, in gewinnendem Gewand.
„Oh ja, wenn ich’s mir überlege,
brächt‘ davon gern ich was zuwege …“

„Das solltest ja du tunlichst nicht!“
Ein Gegner ist es, der so spricht.
„Ein Lebemann ist kein Modell
für dich, du leichtfert’ger Gesell.
Der lebt stets so nur, wie er will.
Sein Lebensstil ist mehr als schrill.
Prinzipien, Regeln sind ihm gleich
und gelten kaum in seinem Reich.
Wo bleiben Recht und Ordnung da?
Auch Arbeit man dort niemals sah.
Und Müßiggang ist doch ein Laster,
wie Geldverschwendung ein Desaster.“
Verschreckt zieht Leichtfuß sich zurück.
Prinzipienreiter bring’n kein Glück.
Wer ständig sagt, was falsch, was richtig,
tut sich vor anderen nur wichtig
und schränkt, wo’s geht, ihr Leben ein.
Kein Wunder, wer will bei ihm sein?
„Auch ich“, sagt Leichtfuß, „werd‘ ihn meiden.
Ich kann, bei Gott, den Typ nicht leiden!

Bei meiner Reise durch die Lande
treff‘ oft ich Leute, die imstande,
- und dies ja wirklich nicht nur eben -
mir zu vermiesen all mein Streben.
Ich habe mich doch aufgemacht,
weil ich bei mir hab mir gedacht,
bloß Müßiggang, und das allein,
das könn‘ doch nicht das Leben sein.
Auch wollt‘ ich wissen, wer ich bin
und was denn steckt so in mir drin.
Und nun? Bei dem, was ich getroffen,
bin nicht mehr sicher, was ist offen
und was verschlossen, was ist richtig
und was bei all dem Wust wohl wichtig …“

„Du bist dabei, zu resignieren
und dich gar selbst bald zu verlieren.“
„Wer bist denn du? Ich kenn‘ dich nicht,
der mich hier plötzlich unterbricht“,
fragt Leichtfuß, halb noch in Gedanken.
„Der Dichter bin ich. Rätsel ranken
um mich und was ich Menschen sage,
die sich verirrt in einer Lebenslage.
Ich möchte sie versteh‘n und deuten,
ich möchte helfen, sich zu häuten,
zum eig’nen Kerne vorzudringen,
bis ihre Seel‘ von selbst kann schwingen.
Ich möcht‘ den Schatz in ihnen heben,
auch ihn, wenn’s nötig, erst beleben.“
„Du mich verwirrst. Willst mir zur Seite stehen?
Doch wie? Ja, wie kann das geschehen?“
„Ich tu’s mit Worten, die sind offen
für das, was selbst du magst erhoffen,
mit Worten, die in dir erklingen,
dein Inneres zum Swingen bringen,
dir helfen, zu dir selbst zu finden,
um eig’ne Kräfte festzubinden.
Dabei dann wirst du bald erfahren,
wie wichtig ist’s, sich selbst zu wahren,
dass richtig ist, so wie du bist,
auch was du bist als Optimist,
der offen in die Zukunft schaut
und sich mit Ängsten nichts verbaut.

Damit den Weg zurück du findest,
dabei dem Wirrsal dich entwindest,
wie du ihn unterwegs erlebt,
dass er nicht länger an dir klebt,
werd‘ ich nach Hause dich begleiten
und dich mit meinen Worten leiten:
Wer warst du, als du fortgezogen?
Warst etwa selbst dir nicht gewogen?
Doch, doch. Du warst mir dir im Reinen,
gestützt auf deinen langen Beinen.
Erinn’re dich, was du gedacht
die Zeit, die du hast zugebracht
auf deinem Sitz, so ganz versonnen,
in dich gekehrt, verträumt gesponnen
hast Schlösser in die heit’re Luft,
ein wenig wie Hansguckindieluft,
doch mehr im Hier und Jetzt, verspielt
in den Gedanken, ungezielt.
Du hast still vor dich hin gelächelt,
beim besten Willen nicht geschwächelt,
so wie es jetzt den Anschein hat.
‚Ein bissel Müßiggang, ein bissel Tat,
nur nicht zu viel. Ich will ja leben!‘
das hast im Stillen dir gesagt
und dich ja dann auch raus gewagt,
von deinen Träumen angeregt,
von Neugier auf die Welt bewegt.
Du magst es leicht und nicht zu schwer,
so war es doch bei dir bisher.
Du bist ein lustiger Geselle -
bleib‘ dran an deiner eignen Quelle!

Nun sind wir da. Du bist zurück.
Ich lass‘ dich jetzt bei deinem Glück.
So, wie du bist, wirst nichts versäumen
und weiter heiter in die Welt dich träumen …“