Gedichte zum Jahreswechsel

Zeitgedanken

Jetzt ist schon wieder ein Jahr um,
das eben doch erst angefangen!
Was lang scheint, ist ein Minimum!
Ich fühl’ mich richtig hintergangen!
Im Januar  -  wie wunderbar!
Zwölf Monate sich endlos dehnen,
-  so stellt’s die Fantasie mir dar  -
kann alle Zeit der Welt mir nehmen …
Ich nehm’ sie mir … und stell’ dann fest
im Juli: Halbzeit schon gewesen?
Das kann nicht sein! Nur noch ein Rest?
Die Jahresuhr falsch abgelesen …?

Und schneller und schneller vergeht nun die Zeit.
Sie eilt nur so hin, und sie lässt’s sich nicht merken,
ganz heimlich, geräuschlos und nicht mehr bereit,
das Tempo zu drosseln, gewillt, zu verstärken
die Hast ohne Rast, bis auch ich bin erfasst
vom Strudel der Dinge, auf dass alles gelinge
ohne Müh’, ohne Last, auf dass nichts sei verpasst,
dass man alles erzwinge wie der Herr der Ringe …

Immer nur eilen,
nie mal verweilen.
Immer nur hasten,
nie mal rasten.
Immer nur laufen,
nie mal verschnaufen.
Immer nur jagen,
nie mal verzagen.
Immer nur flitzen,
nie mal sitzen.
Immer nur abheben,
nie mal aufleben.
Immer nur springen,
nie mal Ruhe erzwingen.
Immer sich regen,
nie mal sich hinlegen.
Immer nur rennen,
nie mal verpennen.
Immer nur rasen,
nie mal Zeit verquasen.
Immer nur streben,
nie mal wirklich leben ...

Hab’ ich denn so das ganze Jahr verbracht?
Das scheint mir aber reichlich übertrieben!
Ich hab’ doch manches Mal auch Halt gemacht!
Allein, wo ist die Zeit denn nur geblieben?
Mir kommt’s so vor  -  es ist wie ein Verdacht  -,
dass ich den Blick auf mein Tun mir verstelle,
dass sich sein Tempo scheint’s verhundertfacht,
nur weil um mich herum regiert die Schnelle.
Holt mich der temposücht’ge Zeitgeist ein
und zieht in seine Unrast mich hinein?


Eberhard Kleinschmidt