"Engel der Zuversicht"

Momente - Ein Sonettzyklus

Matthäus 28.5
Aber der Engel antwortete und sprach zu den Weibern:
Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.

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WETTBEWERBSBEITRAG BUGA ERFURT 2021
„GRABGESTALTUNG UND DENKMAL“

 



Text: Eberhard Kleinschmidt
Bilder: Magnus Kleine-Tebbe
Fotos: Josef Temming, Eberhard Kleinschmidt

Copyright ©2021

Erwartung

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Wie’s aussieht, will die Fichte hoch hinaus.
Sie schießt empor, ja gar nichts kann sie halten.
Sie meint, sie könne hier im Walde schalten
und walten, wie’s beliebt, im eig’nen Haus.

Aus sich’rem Stand sagt sie es freiheraus:
Sie bleibe hier, das sei das Recht der Alten,
da Wurzeln sich noch fest ins Erdreich krallten!
Ja! Weiter wachsen! … Doch da wird nichts draus!

Die Zeit, die hier verbracht, geht jetzt zu Ende.
Sie war erfüllt vom Wachsen und Gedeihen.
Die Reife fordert schicksalhaft die Wende,

wie’s nun mal unabwendbar ist auf Erden.
Wird dieser Baum ‘ne neue Form sich leihen?
Wofür ist er bestimmt, was wird draus werden?

Ausharren

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Doch erstmal tut sich nichts. Es gilt zu warten.
Denn eine ganze Weile nichts geschah.
Der Fichtenbaum, gefällt, lag einfach da,
zersägt in Stücke, irgendwo im Garten.

Im Stoß - der Größe nach verschied’ne Arten,
mal kurz, mal lang -, dort liegt dem Boden nah
der längste Klotz, der fragt sich schließlich: „Ja,
wann geht’s hier endlich weiter? Ich will starten!“

„Geduld! Die Zeit, sie teilt, nicht eilt, verweilt,
wenn’s nötig, weiter noch an sich zu reifen.
Halt aus! Du bist mit deiner Zeit im Streit.

Lass ihr die die Zeit! Im Innern sie dich heilt!
Es bringt nichts, sich auf Eile zu versteifen,
solang für Größ‘res man noch nicht bereit …“

Vorwärts

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Erst schattenhaft noch bildet es sich ab,
ein Einfall, ein Gedanke bloß, der schweift,
nach Halt sucht, ankert, festhält, langsam reift
und plötzlich da ist, so als falle er herab,

aus heit’rem Himmel drunten auf die Erde,
auf dass er dort erst mal Gestalt gewinne,
sich auf ein stet’ges Dasein recht besinne
und dann zu einer festen Form auch werde.

Doch wie? Wohin soll diese Reise gehen?
Kreist diese Form um sich? Für wen bestimmt?
Ob Menschen sie, die suchen, mit sich nimmt?

Gilt’s nicht all denen, die nach Sinn sich fragen,
den rechten Weg zu weisen, sie zu tragen?
Zu Gottes Lob ein Engel soll entstehen …

Annäherung

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Und in der Fläche nun erhält Kontur,
was sich im Geiste zwar bereits entfaltet,
doch noch drauf wartet, dass es auch gestaltet
als Engel, altvertraut ja als Figur.

Man kann sie schon erkennen, die Statur,
wie sie erhaben über allem waltet
und freundlich, gütig, milde tätig schaltet,
auch so schon hinterlässt die erste Spur.

Und obendrein ist alles wohl vermessen,
der schlanke, hohe Wuchs vor allen Dingen.
Die Flügel oben leicht das Haupt umschlingen

und schlicht und klar und ohne Raffinessen,
mitsamt des Federkleides Vogelschwingen,
die Glanzerscheinung bald zum Klingen bringen.

Übergang

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Nun muss der Engel endlich Form annehmen
und der Gedanken Schattenreich verlassen,
von sich auch keine Skizzen mehr verfassen
und sich mal raus ins Tageslicht bequemen!

Im Gegenstand kann erst zur Wirkung kommen,
wie als Figur er greifbar und leibhaftig ist,
wie ausgewogen sich sein Maß bemisst,
und wie vom Auge er wird wahrgenommen.

Dass, zauberhaft figürlich dargeboten,
die Anmut, die ihm eigen, sich wirkt aus,
auch das gilt‘s im Entwurf mit auszuloten.

So ist dann als Vorausschau eingebunden
in Ton, wie dieser Engel strahlt hinaus,
wie menschlich er am End‘ wird vorgefunden.

Verborgen

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Er zeigt sich nicht, noch nicht, hält sich bedeckt,
zurückgezogen in des Holzes Hülle,
als wolle er von seiner reichen Fülle
ja nichts verraten, was in ihm versteckt.

Dabei hat längst er doch schon preisgegeben,
wie’s in ihm aussieht, was er ist, will sein
als Sinnbild und als schöner Augenschein.
Der Meister braucht es nur noch zu beleben.

So legt er Hand an, von Ideen durchdrungen.
Beherzt macht er sich an den Baumstamm ran,
mit Können und Erfahrung geht er‘s an,

bis der Skulptur Konturen dann erscheinen,
bis Muster sich und inn’res Bild vereinen,
ja, bis Begeisterung das Werk bezwungen …

Einbruch

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Das Wetter spielt nicht mit. Es schneit, es schneit.
Geht das so weiter, bringt‘s mich aus dem Takt!
Die ganze Welt ist schon in Schnee verpackt.
Hört das nicht auf? Ich bin noch nicht soweit.

Und mehr und mehr davon. Und weit und breit.
Die Kälte bremst mich aus! Ist wie vertrackt!
Und alles rings nunmehr im Frost versackt.
Was ist mit meinem Werk? Es wird doch Zeit!

Es türmen überall sich Berge auf.
Wie kriege ich das hin? Bin mittendrin.
Auf Weg und Steg sind Matsch und Schnee zuhauf!

Der Wettbewerb! Termin ist festgesetzt!
Man weiß mit diesen Massen nicht wohin …
Und dieser Druck! Ja, schaffe ich’s zuletzt?

Schmuck

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Die Schönheit ist sich oft nicht selbst genug.
Sie möchte sich hervortun, will sich zeigen,
betonen, was ihr ohnehin schon eigen.
Sie tut es mit Bedacht, dezent und klug.

Das Kleid, das wie ein langer Überzug
hinabfließt in der Federn luft’gem Reigen,
mitsamt der Flügel, die zum Himmel steigen
ob‘s Anmut nicht genügend in sich trug?

Denn Mädchenhand hat kostbar noch bestückt
mit silbrig-goldnen Perlen das Gewand
und allenthalben überreich geschmückt.

Was Aussehn, so vollendet, zeigt, entzückt,
ist nicht ein überflüss’ger schöner Tand,
es eines jeden Aug‘ zutiefst beglückt.

Vollendung

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Da stehst du nun. Dein Dasein hat begonnen
grad erst, und doch sogleich klar aus dir spricht,
was du im Grund willst sein: die Zuversicht,
ganz so wie dich der Meister hat ersonnen.

Schon die Gestalt, sie lässt’s erkennen: sonnen-
gleich überstrahlt das Ganze dein Gesicht,
dein mildes Lächeln, deiner Augen Licht,
bereitgestellt, um auszugießen Liebeswonnen.

Mir ist, als breitest du die Flügel aus,
mit ihrem Schutz mir neuen Halt zu geben,
mir Mut zu machen, nur nicht zu verzagen.

Kann ich mit dir entfliehn der Ängste Haus?
Kann ich mit dir mal furchtlos vorwärts streben?
Kann ich mit dir sogar das Wagnis wagen?

Umarmung

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Es tut sich auf für mich ein neuer Morgen,
da du nun auch die Arme hast gelegt
um mich. Und alles, was in mir erregt,
es kommt zur Ruhe, fest in dir geborgen.

Wie war ich doch erfüllt von meinen Sorgen!
Wie trieb’s mich hin und her ja, unentwegt!
Wie deprimiert! Vernunft wie weggefegt!
ausweglos! Die Rettung schien verborgen …

Und du? Ich falle nicht, du fängst mich auf.
Du schaust voll Zuversicht auf mich herab.
Die Last, sie lässt ganz langsam von mir ab.

Was schwer, es fällt dahin in seinem Lauf.
Du stärkst mich, hilfst mir, an mir selbst zu bauen.
„Gib nur nicht auf! Du kannst auf mich vertrauen!“

Aufbruch

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Nun geht’s hinaus in eine neue Welt.
Dort wird dann vieles anders sein.Doch wie?
Was neu, was ungewohnt, was Phantasie
nicht löst, das stört und erst mal nicht gefällt.

Was wird verlangt? Was spielt sich ab? Verstellt
der Blick, geraubt der Mut, die Energie,
voll Bangen sagst du dir: „Das schaffst du nie!
Ein Lichtblick? wo? der mein Gemüt erhellt?“

„Schau hin! Da steht er. Fertig für die Reise.
Was unbequem, nimmt ruhig er in Kauf.
Er lächelt, zuversichtlich, wartet drauf,

dass, fest vergurtet, ihn auf sanfte Weise
der Flaschenzug vom Sockel hievt, versiert,
so dass ihm unterwegs auch nichts passiert.“

Erfüllung

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Nun bin ich wieder eins mit der Natur,
bin wieder dort, wo einst ich schon mal war,
jedoch erneuert jetzt in wunderbar
verheißungsvoll verwandelter Figur.

Ich stehe hier auf bunter Blumenflur,
umgeben von der Bäume grüner Schar.
Mir ist, als stünde ich auf ‘nem Altar
und leiste nun als Engel diesen Schwur:

Ich werde Menschen, die vorübereilen,
weil Hast sie treibt, weil mit der Zeit im Streit,
dazu verlocken, Zeit mit mir zu teilen,

sie dazu bringen, vor mir zu verweilen,
zu suchen nach verlor’ner Sicherheit,
sie aufzufinden und sich selbst zu heilen