Stationen

Sonette um Freundschaft und Liebe - Ein Zyklus (2012)

Inhaltsbeschreibung

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Shakespeare? Ja, richtig, auch von Shakespeare besitzen wir einen Zyklus von 154 Sonetten. Dort wie hier geht es um Freundschaft und Liebe. Schon da eine Beziehungs-Story, die uns trotz ihres beträchtlichen Alters bis zum heutigen Tage berührt. Gewiss, es gibt unzählige Nachdichtungen allein in deutscher Sprache von dem großartigen Werk. Warum aber hat sich bisher noch niemand ge­traut, sich von Shakespeare inspirieren zu lassen und etwas Eigenes daraus zu machen? Ein riskantes Unterfangen? Nun denn, der Stationen-Zyklus unternimmt dieses Wagnis. Er versucht, die bei Shakespeare abgebildete Geschichte „neu-gewandet“ als neues „Beispiel für des Lebens Spiel“ (Prolog) „dem Vorbild nah, bald fern, bald von ihm abgekehrt“ (Epilog) nachzuzeichnen. In Form einer Art Visionssuche (Aufstieg auf den Berg, Verweilen, Abstieg) ist das lyrische Ich der Dichter-Figur auf der Suche nach sich selbst und seiner Freundschafts- und Liebesbeziehung.

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Prolog

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Sie nahen sich, sie lösen sich aus alter Zeit,
aus deinen Versen, unbeirrt, sie treten vor,
Gestalten, feurig, Leidenschaften im Geleit,
und spielen ihre Roll’n vor aller Aug’ und Ohr.

Gespalten, führ’n sie vor, was Seelen tief erregt:
wie Liebe, Freundschaft, Sehnsucht, Eifersucht, wie Hass
nicht Jugend nur, auch Alter je und je bewegt
und auf die wechselhafte Zeit ist kein Verlass.

So treten, mit Verlaub, sie ein in mein Gedicht,
bescheidener, fürwahr, allein erfüllt vom Ziel,
dass neu-gewandet sich im Spiegel schillernd bricht,
was schon bei dir ein Beispiel für des Lebens Spiel.

Denn Leben ist ein Spiel, vom Wechsel stets bestimmt,
mit heit’rem Ernst uns Menschen es gefangen nimmt.

Sonett XCII

Oh du, mein Freund, mir so vertraut, mir so verbunden
in meinem eignen Land, in meiner Innenwelt,
als wärst du ewig schon mir innig zugesellt,
als hätten wir uns nie gesucht, gleichwohl gefunden!

Auch du hast diese Einheit stets wie ich empfunden:
wie wir einander trauen, achten, unverstellt,
wie wir, verlässlich, immer da auf jedem Feld,
wie wir uns Treue unablässig neu bekunden!

Die Eintracht teilt indes nicht ungleich das Gewicht.
Es geht hier keiner mit dem andern ins Gericht,
auf gleicher Augenhöhe geh’n wir mit uns um.

Auch Gegensätze sind auf Ausgleich eingestimmt,
und einfühlsam ein jeder sich die Freiheit nimmt,
zu sagen, was er denkt, weil sonst blieb’ Freundschaft stumm.

Sonett XCIII

Im Spiel sind leicht wir und vergnügt, wir sind entspannt,
genießen den Moment, der Zweck ist bald vergessen.
Mit Spaß am Sinn des Spiels dabei, ist anerkannt,
dass Ehrgeiz, zu gewinnen, nicht ganz angemessen.

Und Freunde? Lieben sie im Umgang nicht das Spiel?
Sind oftmals unernst wie die Jungen, ungezwungen,
so aufgedreht, dass sie des Guten tun zu viel,
weil von verschworener Gemeinschaft tief durchdrungen?

Doch nicht nur das! Sie sind des Umschwungs sich bewusst,
dass Spiel nimmt heiter mal, mal ernsthaft sie gefangen.
Dann geh’n sie Dinge an, mit Unternehmungslust,
die uns des Lebens Wechselfälle abverlangen.

Ja, wie des Spieles Energie gehört zum Leben,
so wird sie auch der echten Freundschaft mitgegeben!

Sonett CLI

Ich möcht’ in Liebe mich zum Himmel schwingen,
ich möcht’ bis an die letzten Grenzen dringen,
ich möcht’ Dich suchen, um das Du zu finden,
ich möcht’ voll Sehnsucht mich mit ihm verbinden.

Ich möcht’ die Wolken sinnenfroh umschlingen,
ich möcht’ vernehmen, wie die Sphären klingen,
ich möcht’ tief in mir drin das Du empfinden,
ich möcht’ es spür’n, bis mir die Sinne schwinden.

Ich möcht’ mit Dir hoch in den Lüften swingen,
ich möcht’ mit Dir mich ganz dem All verdingen,
ich möcht’ mit Dir in höchster Lust erblinden,
ich möcht’ mit Dir die Erdenschwere überwinden.

Ich möcht’, dass Wir uns aneinander schmiegen
und eng umschlungen fliegen, fliegen, fliegen …

Sonett CLII

Der Liebe Höhenflug benimmt den Atem mir.
Er lässt mich alles, was ich selbst sonst bin, vergessen,
was war, was ist, was wird. So ganz bin ich bei dir.
Und Zeit steht still, weil Liebe sie will nicht mehr messen.

In uns ist Raum, für uns, der einzig existiert,
dass wir im andern wie im Zauberbuche lesen,
- und ohne dass ein jeder sich dabei verliert -
bis er sich anverwandelt hat des andern Wesen.

In uns ist Licht, das sich verströmt und übergießt
die Welt rings um uns her mit leuchtend hellen Strahlen,
ein sprudelnd-reicher Farbenquell, der überfließt,
voll Energie, das Firmament bunt zu bemalen.

Was wirklich ist, real, das sieht erfüllte Liebe nicht:
Da bist nur Du, bin Ich, sind Wir im Raum, im Licht …

Sonett CLIV

Es zieht der Sommerwind sacht wehend übers Feld
dahin, bewegt das Korn im Hin und Her, im Wiegen,
im Wogen, Streichen, Streicheln, Schmeicheln, Schmiegen …
Er kommt und geht und stets die Oberhand behält.

Er beugt die reifen Ähren dieser goldnen Welt,
die halmgestützt und körnerschwer hinab sich biegen,
doch, wieder hochgereckt, so leicht nicht zu besiegen,
bis Erntezeit sich ein für alle Mal entgegenstellt.

So spüre ich die Zeit sich grenzenlos bewegen,
nicht aufzuhalten, keinem Hindernis erlegen
und zukunftsoffen hin in die Unendlichkeit …

Das öffnet hoffnungsvoll die Brust, das macht sie weit:
Zu wissen, dass, wenn Traurigkeit auf unsern Wegen,
Zeit bleibt im Fluss und nichts stemmt sich hinfort dagegen …

Epilog

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Im Spiel des Lebens haben sie jetzt Halt gemacht,
sie, die gekämpft um Liebe und der Freundschaft Wert,
dir folgend, großer Dichter, von mir angefacht,
dem Vorbild nah, bald fern, bald von ihm abgekehrt.

Im Wandel haben die Gestalten sich erlebt.
Ob sie in alter Lieb’ um neue Lieb’ gebangt,
ob zwischen Hoffnung und Enttäuschung sie geschwebt,
aus Höhen und aus Tiefen sind sie angelangt.

Nun kehren sie, gelöst von diesem Spiel, zurück
in deines, Shakespeare, wo sie hergekommen sind,
bis Dichter-Fantasie ersinnt ein neues Stück
zu neuem Spiel im ew’gen Lebens-Labyrinth.

Denn Leben bleibt ein Spiel, vom Wechsel bleibt’s bestimmt,
und heiter-ernst es stets aufs Neu’ gefangen nimmt.

Rezensionen

Martin Jasper

Im Klappentext fällt als erstes ein Name: Shakespeare. Oha. Da legt einer die Latte gleich in maximale Höhe. Schauen wir mal, wie er drunter durch kommt.

Mit "Stationen – Sonette um Freundschaft und Liebe" stellt sich der Romanist und ehemalige Dozent an der TU Braunschweig, Eberhard Kleinschmidt, bewusst in die Nachfolge des großen Briten. Sein lyrisches Ich ist ein einsamer Wanderer zumeist unter stürmisch bewölktem oder neblig verhangenem Himmel. "Und weiter treibt's mich ruhelos voran", hebt das erste der 154 Gedichte programmatisch an.
Das Ich reflektiert über Fremdheit und die Sehnsucht nach Nähe, über Einsamkeit in der Masse, über Augenblicke des Sich-Verstehens und der Innigkeit, die aber immer bedroht sind vom erneuten Sich-Entgleiten und Verlieren.
Am Ende aber bleibt der Mensch doch stets allein, der Dichter zumal. Doch gab ihm sein Ich zu sagen, was er leidet. In Sonett 88 heißt es: "Ich falle runter/auch ich, und finde mich im Innern wieder, / wo mich verkapselnd, ich mein Ich verschließe,/... mir hingegeben, meinen Schmerz genieße,/ und ihn Sonett-geformt schreib' schließlich nieder..."


Martin Jasper, Braunschweiger-Zeitung, 20.12.2012


Rezensionen

Martin Jasper

Kleinschmidts Verse sind wenig welthaltig, statt dessen von unruhig-unglücklicher Innerlichkeit geprägt. Sprachlich allerdings mitunter fragwürdig. Nehmen wir die Zeile: "...wo mich verkapselnd ich mein Ich verschließe." Das ist zum einen doppelt gemoppelt (verkapseln – verschließen). Und zum anderen unlogisch: Das Ich schließt sein Ich ein? Wie geht das? Und wenn ja, wie viele?
Ein anderes Problem ist die oft arg zurechtgezwungene Wortstellung. Bestes Beispiel in Sonett 54: "An Bruders statt nehm' ich dich an, den ich nicht habe,/ und einen, der wie du, schon längst gehabt gern hätt'" - Das klingt, mit Verlaub, wie eine Straßenbahn, die neben den Schienen herfährt – nicht nur an dieser Stelle. Dennoch nimmt man dem Autor die existenzielle Einsamkeit und die seelisch unbehauste Wolkenfetzen-Stimmung ab, bis am Ende der Wanderung adlergleiche Gelassenheit möglich scheint – und lässt sich in den besten Versen auch davon berühren. Von Shakespeares Genie ist all das weit entfernt – aber doch von einer sympathischen Redlichkeit im lyrischen Ringen mit sich selbst.

Eberhard Kleinschmidt: „Stationen“ Döringdruck, 166 Seiten, 9,80 Euro.


Martin Jasper, Braunschweiger-Zeitung, 20.12.2012


Rezensionen

Wilhelm Ruprecht Frieling

Wer von Sonetten spricht, der denkt an Shakespeare. Seine Klanggedichte mit jeweils 14 Zeilen in fester Metrik erschienen erstmals 1609, also vor mehr als 400 Jahren. William Shakespeare, über dessen wahre Identität sich die Forschung leidenschaftlich streitet, gilt als der König des Sonetts »in jambischen Pentameter mit weiblicher oder männlicher Kadenz«, um es literaturwissenschaftlich exakt auszudrücken. Der Dichter des elisabethanischen Zeitalters hat 154 dieser fragilen Blüten erschaffen und damit einen Höhepunkt der englischen Renaissance und ihrer Widerspiegelung in Literatur und Dramatik inszeniert. Shakespeare wendet sich an einen »fair boy« und eine »dark lady« als scheinbar homoerotische Geliebte. Er appelliert an den jungen Mann, einen schönen Nachkommen zu erzeugen, um damit unsterblich zu werden. (»Im Vers zwingst du die Sterblichkeit. / Solang ein Mensch noch atmet, Augen sehn, / Solang dies steht, solang wirst du bestehn.«) Er spricht über das Altern, die Eifersucht, das Alleinsein, die Furcht vor Liebesverlust, aber auch über Tod, Tugend, Redlichkeit und die Dummheit der Welt. Mit Shakespeares Sonetten verbindet mich eine persönliche Leidenschaft. Die Texte wurden nämlich unter anderem von Martin Flörchinger ins Deutsche übertragen. DDR-Nationalpreisträger Flörchinger spielte unter Langhoff ab 1953 im »Deutschen Theater« und ab 1956 im BE. Seine Übertragung der als unübersetzbar geltenden Sonette Shakespeares durfte ich betreuen und herausgeben.


Wilhelm Ruprecht Frieling, 25.12.2012, Link zu Literaturzeitschrift.de


Rezensionen

Wilhelm Ruprecht Frieling

Sein Buch unter dem Titel »Und Narren urteil'n über echtes Können« ist leider nur noch antiquarisch erhältlich. Umso erfreulicher ist es, dass sich der promovierte Germanist Eberhard Kleinschmidt dem Gedicht nach klassischem Vorbild angenommen hat. Seine »Stationen« genannten 154 Sonette behandeln ebenso wie bei Altmeister Shakespeare den Themenkomplex Freundschaft und Liebe. Der Autor versucht, die bei Shakespeare abgebildete Geschichte »neu-gewandet« als neues »Beispiel für des Lebens Spiel« (Prolog) »dem Vorbild nah, bald fern, bald von ihm abgekehrt« (Epilog) nachzuzeichnen. In Form einer Art Visionssuche (Aufstieg auf den Berg, Verweilen, Abstieg) ist das lyrische Ich der Dichter-Figur auf der Suche nach sich selbst und seiner Freundschafts- und Liebesbeziehung. Kleinschmidt reflektiert in seiner Lyrik das eigene Sein und sein fortwährendes Tasten, Suchen, Spüren und Finden. Seine Versen sprechen vom Wandel der Gestalten, vom immerwährenden Kampf um das Entfachen von Liebe, Zuneigung und Nähe. Der Dichter begreift das Leben als wechselhaftes Spiel, das ihn mit seinen sowohl ernsten wie heiteren Seiten immer wieder neu gefangen nimmt. So nähert er sich gedanklich dem Vorbild Shakespeare und schließt den Bogen. »Stationen« ist eine filigran gewirktes Werk, das gefangen nehmen kann, so man sich darauf einlässt.

Wilhelm Ruprecht Frieling, 25.12.2012, Link zu Literaturzeitschrift.de

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Rezensionen

Dieter Brandes

[…] Erst vor gut drei Jahren, in Heft 3/2010 der SV-Zeitung, konnte ich das gelungene Buch "Der andere Frühling" von Dr. Eberhard Kleinschmidt vorstellen. Nun liegt ein neues lyrisches Werk dieses Autors vor: "Stationen – Sonette um Freundschaft und Liebe". Mit diesem anspruchsvollen Projekt, mit dem er sich zehn Jahre lang beschäftigt hat, unternimmt Kleinschmidt ein fast unglaubliches Wagnis. Er nimmt sich Shakespeares berühmte 154 Sonette – rätselhaft und komplex, wie sie sind – zum Vorbild und schreibt seinerseits 154 Sonette, die das Thema Beziehungen umkreisen und vertieft auszuschöpfen versuchen. Die Gestalten aus dem Vorbild – das lyrische Ich, der Freund, der Konkurrent, die "Dark Lady" – werden offenkundig übernommen. Dieses Wagnis, das vermessen scheinen mag, ist ihm, wie ich meine, rundum gelungen.
Formal hält er sich nicht sklavisch an Shakespeare. Kleinschmidt Sonette bestehen jeweils sowohl einerseits – wie bei dem englischen Dichter – aus drei Vierzeilern und einem Zweizeiler als auch andererseits aus zwei Vierzeilern und zwei Dreizeilern, wie z.B. bei Petrarca.
Es würde hier zu weit führen, wenn ich weiter literarisch theoretisieren wollte. Auch fehlen mir dafür die philologischen Detailkenntnisse. Gesagt sei nur so viel, daß jedes Sonett in sich wie auch der Ablauf des Zyklus ganz und gar organisch wirken.



Rezensionen

Dieter Brandes

Wieviel Autobiographisches in dem Zyklus verborgen ist, muß jeder Leser für sich entscheiden. Kleinschmidt selbst hat in einem Interview den Zyklus "Eine Art inneren Jakobsweg" genannt, auf den er den Leser mitnehmen möchte. Eigenes sei darin abstrahiert und sublimiert.
Fazit: Hier liegt das Buch eines Meisters der Sprache vor, dem es gelungen ist, die Vielfalt und Tiefe seiner Gedanken nahtlos in die Form von Sonetten zu gießen, ohne daß die bewußte Anlehnung an Shakespeare unangemessen wirkt.

Dieter Brandes, SV-Zeitung, 115. Jahrgang, Nr. 4, Juli, Oktober, November, Dezember 2013, S.99


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